Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
hielt Brunetti es für das Klügste, vorerst nicht noch einmal mit Signorina Elettra zu sprechen. Er ging in sein Büro hinauf und rief den Bauernhof an, auf dem Paola und die Kinder Urlaub machten. Paola meldete sich beim siebten Klingeln.
»Es ist heiß und schwül, und die kleineren Kanäle stinken«, begrüßte er sie. »Warum seid ihr nicht wandern?«
»Wir waren den ganzen Tag draußen, Guido. Und jetzt bin ich auf der Terrasse und lese.«
»Seit wann haben Bauernhäuser eine Terrasse?«, fragte Brunetti mürrisch.
»Tröstet es dich, wenn ich sage, dass hier früher Schweine geschlachtet wurden und noch die Rinne zu sehen ist, in der das Blut sich sammeln konnte? Und dass es, wenn die Sonne direkt darauf scheint, immer noch leicht nach Schweineblut riecht, was es mir unmöglich macht, mein versammeltes Wissen voll und ganz auf die nuancenreichen Dialoge von Die Europäer zu richten?«
»Lügst du?«
»Ja.«
»Warum?«
»Um dich aufzuheitern.« Offenbar waren die Rührseligkeiten damit abgehakt. »Wie geht’s bei dir?«, fragte sie.
»Ein wichtiger Mensch, dessen Frau ich befragt habe, hat sich bei Patta beschwert, und vorhin musste ich mir eine Viertelstunde lang seine paranoiden Tiraden anhören.«
»Wovor hat Patta Angst?«, fragte sie.
»Weiß der Himmel. Dass er nicht zum Ball des Lions Club eingeladen wird, womöglich. Falls die so was veranstalten. Ich verstehe ihn nicht: Er führt sich auf, als lebe er noch am Hof der Bourbonen und setze alles daran, die Aufmerksamkeit irgendeines Prinzen auf sich zu ziehen. Sollte er jemals von deinem Vater eine Essenseinladung erhalten, fällt er vor Freude wahrscheinlich tot vom Stuhl.«
»Mein Vater ist kein Prinz«, stellte sie fest.
»Na ja, Grafen gehören auch in diese Abteilung.«
»Die Monarchie wurde 1946 abgeschafft«, sagte sie mit der Strenge einer Historikerin.
»Schwer zu glauben bei der Katzbuckelei, die ich Tag für Tag erlebe«, erwiderte Brunetti.
»Zur Sache«, sagte sie; Brunettis Bemerkungen über den höheren Adel interessierten sie nicht.
»Das Mordopfer wurde von zwei zuverlässigen Zeugen als guter Mensch beschrieben. Er hatte Streit mit seinen Nachbarn, Schwierigkeiten mit einer Richterin und war vermutlich schwul.«
»Das sind ja recht gehaltvolle und vielsagende Informationen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mir reichen, den Täter zu identifizieren, falls du deswegen angerufen hast«, sagte sie.
»Nein, damit lässt sich nicht viel anfangen«, stimmte Brunetti zu. »Eigentlich rufe ich an, um dir zu sagen, wie sehr ihr mir fehlt, du und die Kinder, und dass ich jetzt viel lieber bei euch wäre.«
»Bring die Sache vom Tisch, und komm. Wir können immer noch eine Woche dranhängen.«
»Und die Kinder verwöhnen?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen.
»Und Urlaub machen«, korrigierte sie ihn. Als sie das Gespräch nach Austausch weiterer Nettigkeiten beendeten, fühlte Brunetti sich erfrischt.
Er vergegenwärtigte sich noch einmal seine Unterredung mit Signora Fulgoni. Er hatte sie um Bestätigung des genauen Zeitpunkts gebeten, wann sie und ihr Mann nach Hause gekommen waren, worauf sie das Läuten der Mitternachtsglocke erwähnt hatte. Präziser konnte eine Angabe kaum sein. Dann hatte er sie gefragt, wie lange sie schon in dem Haus wohnten, und sie hatte ähnlich präzise geantwortet. Erst als er sie gefragt hatte, wie sie an die Wohnung gekommen seien, hatte sich ihr Verhalten geändert.
»Na, dann sollten wir uns damit mal beschäftigen«, sagte er laut.
Vianello, den Brunetti im Bereitschaftsraum fand, versicherte ihm, an Informationen über den Mietvertrag komme man relativ leicht heran; er habe nämlich vor kurzem gelernt, wie man sich Zugang – der Euphemismus verriet Signorina Elettra als seine Lehrerin – zu den Dateien der Comune verschaffen könne. Und er hatte nicht zu viel versprochen. Er brauchte nur die Namen Puntera und Fulgoni einzugeben, und innerhalb weniger Minuten hatte er nicht nur das Datum des Vertrags ermittelt, sondern auch das zugehörige Aktenzeichen im Ufficio dei Registri, wo eine Kopie zu finden war.
»Müssen wir rübergehen, um festzustellen, wie viel Miete sie zahlen?«, fragte Brunetti.
Vianello setzte zu einer Antwort an, zögerte, machte ein verlegenes Gesicht und sagte: »Nein, eigentlich nicht.«
»Ich vermute, der Mietbetrag steht nicht hier drin«, sagte Brunetti und klopfte mit dem Fingernagel an den Bildschirm.
»Nein«, sagte Vianello und korrigierte sich
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