Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
eine Weile und fragte dann: »Kannst du mir davon erzählen?«
»Jetzt nicht. Aber bald.« Ihm wurde bewusst, wie hastig er sprach, um sie loszuwerden.
»Gut. Ich richte es ihr aus. Danke, Guido«, sagte sie und legte auf.
Brunetti sah Vianello an und sagte: »Du hast sie vorhin nicht gehört, oder?«
Der Inspektor musste erst einmal kurz nachdenken, worauf Brunetti das bezog. Aber dann verstand er. »Nein, kein Wort. Ich bin zu spät dazugekommen.«
»Sie hat es aus Liebe zu ihm getan«, erklärte Brunetti bedrückt.
»Was hat sie getan?«, fragte Vianello ungeduldig.
»Sie sagt, er – also Gorini – hat die Laborergebnisse – darauf läuft das wohl alles hinaus – dazu benutzt, den Leuten weiszumachen, dass er sie heilen könne. Sie sagt, ohne die Ergebnisse würden ihm die Leute nicht mehr glauben, dass er ihnen helfen kann. Und dann würde er sie verlassen.« Brunetti machte eine Handbewegung, die Verständnislosigkeit oder Resignation bekunden mochte. »Also hat sie die Ergebnisse gefälscht.« Vianello hatte nicht mitbekommen, wie sie zu Rizzardi gesagt hatte, sie habe keine Schwierigkeiten machen wollen, aber Brunetti fehlte der Mut, das jetzt zu wiederholen.
Vianello sah sich in dem Labor um: die Holzgestelle, in denen Reagenzgläser mit verschiedenenfarbigen Flüssigkeiten standen, die schweren Apparate, die Signorina Montinis Zerstörungswut widerstanden hatten, die Gefäße und Flaschen, mit denen nur Fachleute etwas anzufangen wussten. Brunetti glaubte zu verstehen, was in dem Inspektor vorging, und kam seinen Fragen zuvor: »Er brauchte bloß einen Einzigen davon zu überzeugen, dass er ein Wundermittel erfunden habe. Der Rest war Mundpropaganda.« Er klopfte auf die Tasche, in die er sein telefonino gesteckt hatte, und sagte: »Meine Schwiegermutter hat mir von einer Freundin erzählt, die fest daran glaubt, dass er ihrem Mann das Leben gerettet hat – mit irgendeinem Kräutertee, der die Cholesterinwerte senkt.«
»Wenn die Leute einen gefunden haben, von dem sie glauben, dass er ihnen hilft, wollen sie sich offenbar gegenseitig übertrumpfen«, meinte Vianello.
»Genau«, sagte Brunetti. »Mein Arzt ist besser als deiner. Eine Wunderheilung genügt: Wenn derjenige seinen Freunden davon erzählt, rennen einem die Leute bald die Bude ein.«
»Aber die Tests?«, wandte Vianello ein. »Wie konnte er sicher sein, dass ausgerechnet Montini die machen würde?« Bevor Brunetti dazu etwas sagen konnte, wurden sie von einem Geräusch an der Tür unterbrochen. Dottoressa Zeno setzte zaghaft einen Fuß über die Schwelle und fragte: »Können wir wieder zurück?«
»Ja, ja, natürlich«, sagte Brunetti und ging auf sie zu. »Ich würde gern mit Ihnen reden, Dottoressa.«
Bald gewannen sie eine klare Vorstellung davon, wie Signorina Montini vorgegangen war. Alle im Labor arbeiteten schon so lange zusammen, dass die Entscheidung, wer welche Tests durchführte, mehr oder weniger dem Zufall überlassen blieb: Wer als Erster morgens am Arbeitsplatz erschien, nahm sich die erste Probe vor, die im Labor abgeliefert worden war, manchmal auch irgendeine andere, und die anderen arbeiteten dann ab, was übrig war. Da Signorina Montini gewöhnlich als Erste kam, hatte sie freie Wahl.
Dottoressa Zeno begriff die Überlegungen der beiden Polizisten sehr schnell und erklärte, sie könne leicht nachprüfen, ob Signorina Montini Tests durchgeführt habe, bei denen sich sehr schlechte Ergebnisse in kurzer Zeit deutlich verbessert hätten.
Nach wenigen Minuten hatte sie die Daten im Computer ermittelt und druckte sie für Brunetti aus. Der konnte nur staunen: Bei mehr als dreißig Patienten – alle waren weit über sechzig –, deren Proben Signorina Montini in den letzten zwei Jahren untersucht hatte, war der Cholesterinspiegel plötzlich in die Höhe geschossen und dann im Lauf der nächsten zwei Monate nach und nach wieder auf normales Niveau zurückgegangen. Das gleiche Muster zeigte sich in zahlreichen Fällen von Altersdiabetes, wo die Blutzuckerwerte plötzlich angestiegen und in den Monaten darauf langsam wieder gesunken waren.
»Was für ein raffinierter Hund!«, rief Vianello, als sie es schwarz auf weiß hatten. »Warum ist das keinem aufgefallen?«
Signora Zenos Finger huschten über die Tastatur, und auf dem Bildschirm erschien die Zahl 73 461.
»Was ist das?«, fragte Vianello.
»Die Anzahl der Tests, die wir im vergangenen Monat durchgeführt haben«, antwortete sie kühl. Und als sei
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