Auf Umwegen ins Herz
aufsaugen zu können. Mir fiel wieder unser kleines Geplänkel zu Beginn unseres heutigen Treffens ein. Bei der Vorstellung, ich wäre jetzt diejenige, die ihn beschnüffelte, musste ich leise kichern.
„Was ist?“, wollte Julian wissen.
Doch ich konnte nicht aufhören und schüttelte nur den Kopf. Da legte er seinen Zeigefinger an mein Kinn und hob meinen Kopf, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Und – wie jedes Mal zuvor – konnte ich mich ihnen auch jetzt nicht entziehen. So standen wir da, eine Minute? Eine Stunde? Ich hatte keine Ahnung, ich war wie … hypnotisiert.
Auch Julian blickte mich ununterbrochen an, konnte sich wohl nicht vom Farbenspiel meiner Iris losreißen. Sein Finger knisterte geradezu an meiner Haut und schickte Stromstöße durch meinen Körper.
Dann senkte er seinen Blick und heftete ihn auf meine Lippen. Ich konnte nicht anders und folgte seinem Beispiel. Ich war gefesselt von seinem weichen, leicht geöffneten Mund.
Er kam immer näher, mein Herz klopfte so laut, dass ich das Pochen in meinen Ohren hören konnte. Sein Finger an meinem Kinn wanderte weiter in Richtung Nacken, den er mit seiner ganzen Hand umschloss und zärtlich zu kraulen begann. Mein Atem ging schneller, und ich konnte seine Lippen schon fast auf meinen spüren. Mit letzter Anstrengung riss ich mich los aus dem Strudel, der mich gefangen hielt, und wich hastig einen Schritt zurück. Ich spürte das heiße Blech meines Autos an meinem Hintern und wusste, dass ich keine Ausweichmöglichkeit mehr hatte. Das warme Gefühl, das eben noch meinen Körper durchströmte, verwandelte sich dadurch abrupt in Panik.
Noch bevor ich meine Gedanken ordnen konnte, hörte ich mich hysterisch zischen: „Sag mal, bist du jetzt vollkommen übergeschnappt? Du denkst wohl, ein bisschen romantisches Spazieren im Park und ein netter Kuss zum Abschied würden reichen, um mich ins Bett zu kriegen? Da hast du dich aber gewaltig geschnitten, mein Freund!“
Bitterböse funkelte ich ihn an, griff nach hinten, um meine Wagentür zu öffnen, und flüchtete in die brütende Hitze meines Autos. Ich startete den Motor und hoffte, beim Zurücksetzen nicht über seine Füße zu fahren. Doch andererseits wäre er selbst schuld, wenn er nicht auswich.
Schade … Dabei hatte das Treffen so vielversprechend begonnen!
Erst, als ich vor meiner Wohnung den Motor ausstellte, kam ich wieder etwas zur Besinnung. Geschockt von dem Beinahe-Kuss und verärgert über meine Panikreaktion ließ ich meinen Kopf aufs Lenkrad sinken.
Kapitel 6
Achterbahn
Nun war es so weit: Ich durfte Isa auf den neuesten Stand in puncto Julian bringen. Fleißig gingen wir am Samstagvormittag unserem Sport nach und stemmten im Fitnessstudio Gewichte.
Sie staunte nicht schlecht, als ich ihr von seiner SMS erzählte. Kurz war sie etwas eingeschnappt, weil ich es ihr gestern bei unserem Plausch im Büro vorenthalten hatte. Doch zum Glück war sie nicht nachtragend. Zumindest nicht bei mir.
Was Isa jedoch nicht verstand, war meine Reaktion auf seinen Kuss. Gut, die war mir selbst unverständlich, eine Panikattacke oder so, jedenfalls hätte ich mich dafür in den Arsch beißen können, weil ich die vielleicht einzige Chance verpasst hatte, ihn zu küssen.
„Oh, Jana, Mensch! Ich an deiner Stelle hätte ihn gepackt und geküsst, als ob ich ohne diesen Kuss verhungern müsste. So einem Sahneschnittchen wie Julian begegnet man nicht allzu oft im Leben. Du hättest die Gelegenheit beim Schopf packen sollen. Ihn von der Bettkante zu stoßen … das könnte ein fataler Fehler gewesen sein!“
„Isa, du übertreibst schon wieder. Erstens hab ich ihn nicht von meiner Bettkante gestoßen, sondern ihn nur nicht geküsst …“
„… Das macht nichts, das kommt aufs Selbe raus!“
Ich schnaubte und verdrehte meine Augen. „… und zweitens: Muss ich dich daran erinnern, wie er mich damals im ‚Boot’ verarscht hat?“
„Ach komm, Jana, das ist schon so lange her. Vergiss das endlich! Die Geschichte spielte im letzten Jahrtausend, meinst du nicht, dass es endlich Zeit wird, darunter einen Schlussstrich zu ziehen?“ Isa legte ihre Hanteln zur Seite und wischte sich die Hände an ihrem Shirt trocken. „Er hat sich bei dir entschuldigt! Hast du eine Ahnung, wie viele Männer sich bei mir schon für ihre Fehler entschuldigt haben? So was kommt so selten vor, dass es unter Märchen und Sagen fällt.“
Mir platzte der Kragen.
„Vielen Dank auch! Ich dachte, du
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