Auf Umwegen ins Herz
Schatten eines großen Baumes, doch offensichtlich war die Sonne kräftiger, als ich angenommen hatte.
Gerade wühlte ich im Gemüsefach nach den beiden blauen Coolpads, die ich mir auf meine glühenden Schultern legen wollte, als ich mein Handy in der Badetasche piepsen hörte. Ich zog die Pads unter den Gurken und Radieschen hervor und marschierte zurück ins Wohnzimmer. Ich wühlte nach dem Smartphone in meiner Tasche, die noch unausgeräumt neben der Couch stand, und lehnte mich in die weichen Polster. Erst als die Pads auf meine Haut trafen und ich kurz aufstöhnte, öffnete ich die Nachrichtenbox.
Julian König:
Sorry! Ich hab’s wieder mal verbockt.
Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Tja, was sollte ich da jetzt antworten? Auch wenn mir seine Nachricht ein Lächeln auf die Lippen zauberte und in meinem Bauch Schmetterlinge zu flattern begannen – so einfach ließ ich ihn nicht damit davonkommen.
Jana Sommer:
Das hast Du.
Julian König:
Wie gehts jetzt weiter?
Gute Frage. Sollte ich ihn noch länger leiden lassen? Irgendwie tat er mir ja auch leid. Denn wie Isa heute Vormittag bereits festgestellt hatte, wusste Julian ja nichts von meiner Vorgeschichte mit Georg. Außerdem kam mir meine Reaktion nach dem Spaziergang mehr und mehr kindisch vor. Er hatte mich immerhin nur küssen und nicht vor allen Leuten auf dem Parkplatz flachlegen wollen. Schnell schob ich den Gedanken an Sex mit ihm wieder in die hintersten Winkel meines schrägen Gehirns, denn die Hitze, die ich eben noch mit den Coolpads zu bändigen versuchte, strömte plötzlich durch meinen ganzen Körper. Vielleicht sollte ich nicht meine Schultern, sondern meine Stirn kühlen …
Jana Sommer:
Weiß nicht. Was schlägst Du vor?
Julian König:
Was hältst du von einer Essenseinladung als Wiedergutmachung – morgen Mittag? Ich hol Dich ab, wenn Du nichts dagegen hast.
Darüber musste ich gründlich nachdenken. War morgen Mittag nicht doch etwas verfrüht? Wäre es nicht besser, wenn wir noch ein, zwei Nächte darüber schlafen würden? Und wollte ich mich wirklich abholen lassen? Normalerweise bestand ich auf meine Unabhängigkeit und fuhr zu Dates lieber selbst mit dem Auto. So hätte ich zumindest die Möglichkeit, jederzeit auch wieder heimzufahren, wenn es schlecht verlief.
Andererseits, was sollte schon schief gehen. Er wird mich sicher nicht in einen Wald entführen, um mich dort zu zerstückeln. Er war einfach nur ein Mann mit schlechtem Gewissen, der eigenartigerweise alles tat, um mich von seiner guten Seite zu überzeugen. Abgesehen davon war es ein Mittag- und kein Abendessen und fiel somit nicht unter Date, sondern war ein Treffen unter Freunden. Und im Grunde genommen hatte er ja auch nichts „Schlechtes“ gemacht. Er wollte mich einfach nur küssen … Verdammt, hätte ich ihn nur nicht zurückgewiesen! Frustriert stöhnte ich auf.
Jana Sommer:
Okay.
Julian König:
Ist das ein Ja? Morgen Mittag, und ich darf Dich abholen?
Ich atmete tief ein und schloss die Augen, ehe ich meine Antwort tippte:
Jana Sommer:
Ja. Und ja.
Julian König:
Ich werde ganz anständig sein, ich versprech’s Dir. ;-) Ich hol Dich um Punkt zwölf von Dir daheim ab. Deine genaue Adresse brauche ich noch.
Welche ich ihm dann noch schickte. Um meine Aufregung im Zaum zu halten und mich abzulenken, holte ich mir Wasser, schaltete das Radio ein und setzte mich kurzerhand an den Esstisch, auf dem noch immer die Box mit meinen Tagebüchern stand. Bisher hatte ich noch nicht Zeit gefunden, in ihnen zu lesen.
Ich suchte nach dem ersten Buch, das ich mit circa zwölf Jahren zu schreiben begonnen hatte, und zog eines mit graugrünem Stoffeinband heraus. Das Schloss war schnell geknackt und mir fiel wieder ein, dass ich mich schon immer maßlos über die schlechte Qualität der Verschlüsse geärgert hatte. Ich schlug die erste Seite auf, nahm einen Schluck Wasser und begann zu lesen.
Zuerst überflog ich mehr, doch dann tauchte ich immer tiefer in meine Geschichten ein, musste über meine Ausdrucksweise als Jugendliche schmunzeln. Ich ließ mich mitreißen in eine Welt, die lange vergangen war – in das Leben der jungen Jana Sommer.
Ein Tagebuch nach dem anderen nahm ich zur Hand, durchlebte ein zweites Mal in dieser Woche die erste Begegnung mit Julian. Am Rande auch die mit seiner Schwester Lena. Ich las über die Zeit mit meinen früheren Freundinnen Carola und Doris im „Boot“, und unsere Schwärmereien
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