Auf Umwegen ins Herz
da war ich mir sicher, denn ihr Bruder würde ihr vermutlich den Kopf umdrehen, wenn mir unter ihrer Aufsicht etwas zustoßen würde.
Jazzman beschnupperte neugierig meine Hand, und vorsichtig streckte ich meine Finger aus, um ihn auf seiner Stirn zu streicheln. Als würde er meine Unsicherheit wahrnehmen, hielt er still und wartete ab, bis ich meine Hand wieder von ihm genommen hatte. Erst dann schüttelte er kräftig seine Mähne. Lena hatte in der Zwischenzeit den Sattel festgeschnallt.
„Komm, er ist fertig.“
Mit einigen Schritten Abstand folgte ich den beiden zum Reitplatz. Ich kam mir reichlich dämlich vor, wie ich den beiden nachtrottete, und war mir sicher, dass jeder von Weitem erkennen würde, dass ich noch nie in der Nähe eines Pferdes gewesen war. Ich spürte Blicke in meinem Rücken, die ich mir wahrscheinlich nur einbildete. Trotzdem gab ich mein Bestes, sie zu ignorieren.
Lena wartete geduldig auf mich und lächelte mir aufmunternd zu. „Siehst du, ist ja gar nicht so schlimm in seiner Nähe, oder?“
Ich nickte, auch wenn ich mir sicher war, dass wir von „schlimm“ unterschiedliche Ansichten hatten. Mein Puls war jenseits von Gut und Böse, seit wir aus dem Auto ausgestiegen waren, und, auch wenn ich wusste, dass ich Tieren meine Angst nicht zeigen sollte, konnte ich sie nicht in den Griff bekommen.
„Möchtest du dich mal raufsetzen?“
„Wie jetzt? Auf Jazzman ?“
Lena sah mich amüsiert an und nickte.
„Ich dachte, man kann nicht mehr auf ihm reiten?“
„Nun, Schritt gehen mit einem Reiter auf dem Rücken hält er aus. Als ich sagte, er ist nicht mehr reitbar, habe ich alles gemeint, was darüber hinausgeht. Trab und Galopp würden ihm wahrscheinlich Schmerzen bereiten, vom Springen ganz zu schweigen.“
„Ah, ja … okay.“
„Okay?“ Überrascht schaute sie mich an. „Na, dann komm her, ich helfe dir rauf.“
„Wo rauf?“
„Na, auf Jazzman .“
„Ooooh nein! Das hab ich nicht gemeint! Mich bringt keiner auf ein Pferd!“
„Dann nicht“, meinte sie lächelnd. Als hätte sie unsichtbare Flügel, schwang sie sich in den Sattel. Ich setzte mich auf eine Holzbank und beobachtete fasziniert das Zusammenspiel der beiden. Auch wenn sie ihr Pferd nur im Schritt über den Platz lenkte, wirkten sie wie eine untrennbare Einheit. Je länger ich dabei zusah, umso mehr sehnte ich mich danach, an Lenas Stelle zu sein. Das war doch verrückt! Ich mit meiner Angst vor großen Tieren! Trotzdem, Jazzman weckte mit seinen geschmeidigen Bewegungen mein Vertrauen und den Wunsch herauszufinden, was es mit dem Glück auf dem Rücken der Pferde auf sich hatte.
Als Lena nach einer Weile wieder an den Zaun kam und sich aus dem Sattel schwang, nahm ich all meinen Mut zusammen.
„Darf ich vielleicht doch einmal … ganz kurz … nur … nur, um herauszufinden, wie das da oben ist?“
Lena war anzusehen, dass sie sich unheimlich freute. Sie war regelrecht begeistert. „Aber klar doch, komm her, ich erklär dir alles.“
Dann half sie mir in den Sattel und führte Jazzman und mich auf dem Reitplatz herum. Und was soll ich sagen? Ich war überwältigt!
Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ein Ritt auf einem Pferd so unglaubliche Glücksgefühle auslösen könnte. Und dabei waren wir noch nicht einmal schnell! Aber die Wärme, die ungeheure Kraft, die von dem Tier ausging, raubte mir den Atem, und ich wünschte, ich könnte ewig auf seinem Rücken bleiben.
Das sanfte Schaukeln wirkte unheimlich beruhigend auf mich, und sämtliche Angst, die ich noch vor einer guten Stunde empfunden hatte, war wie weggeblasen. Ich fühlte mich unendlich frei, und, als mir Lena wieder herab half, war ich sogar ein wenig traurig, dass es schon wieder vorbei war.
„Das hast du total toll gemacht!“, lobte mich meine Lehrerin mit einem strahlenden Lächeln. Ich fühlte mich geschmeichelt und sogar ein bisschen stolz, denn hätte mir heute Morgen jemand prophezeit, dass ich auf einem Pferd sitzen würde, ich hätte denjenigen ausgelacht.
„Es war … unglaublich! Danke für dein Vertrauen in mich.“
„Wir danken dir für dein Vertrauen in uns , Jana. Ist doch so, oder, Jazzman ?“ Er antwortete Lena mit einem Schnauben.
„Apropos Vertrauen – darüber möchte ich noch mit dir sprechen, Jana …“
Verdutzt sah ich in Lenas Gesicht, dessen Züge von vergnügt zu ernst wechselten.
„Jaaa?“ Ich zog das Wort in die Länge, und ein flaues Gefühl schlich sich in meine
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