Auf Umwegen ins Herz
einem Ohr zu. Meine ganze Wahrnehmung war auf Julian gerichtet und auf die Spannung, die zwischen uns beiden herrschte. Er stellte sich so knapp neben mich, dass sich meine Härchen an den Unterarmen aufstellten, und seine raue Stimme, mit der er seiner Schwester antwortete, jagte mir einen prickelnden Schauer über den Rücken. Mir wurde heiß, und diese Hitze hatte nicht unbedingt nur mit der Sonne zu tun, die unbarmherzig auf uns herabbrannte.
Am Rande bekam ich mit, wie Lena ihren Jazzman wegführte. Ich hatte sämtliche Muskeln angespannt und lehnte mich zu meiner eigenen Sicherheit fester gegen den Zaun. Julian dürfte es ähnlich ergangen sein, denn auch er hielt sich krampfhaft am Holz fest. Wir schwiegen eine Weile, und Neele machte es sich derweil unter einem nahen Apfelbaum in dessen Schatten bequem und döste vor sich hin.
„Bist du auch geritten?“ Leise durchbrach sein tiefer Bass die Stille, und trotzdem zuckte ich kurz zusammen. Unsicher nickte ich kurz und hoffte, nicht näher auf den Ritt eingehen zu müssen. Doch Julian verschonte mich und begann stattdessen zu erzählen.
„Ich saß das erste Mal mit sechzehn auf einem Pferd. Lena begann während ihrer Therapie mit dem Reiten bei einem befreundeten Bauern und steckte mich damit regelrecht an … als es mir wieder besser ging.“
Das würde bedeuten … „Also kannst du genauso gut reiten wie Lena?“
Julian lachte heiser auf. „Nee, ich bin mir sicher, dass meine Schwester um Welten besser ist. Immerhin hat sie ihr eigenes Pferd, auf dem sie jahrelang an Turnieren teilnahm. Aber … ich komme auch immer noch regelmäßig in den Stall, um zu reiten.“
Mit großen Augen sah ich ihn an, und in meinem verrückten Kopf formte sich sofort ein Bild mit Julian auf einem Pferd – auf einer großen Wiese im wilden Galopp, das Haar zerzaust und mit offenem Hemd.
Oh mein Gott! Es gab für mich genau drei Arten von Männern, die die oberste Ebene des Sex-Appeals erreichten – Musiker, Tänzer und … Reiter. Ich spürte ein Ziehen im Unterleib und merkte, wie mein Mund plötzlich staubtrocken war. Nervös leckte ich über meine Lippen und überlegte, was ich darauf antworten sollte, ohne mich und meine Fantasien zu verraten. Gerade, als ich den Mund öffnete, um irgendwelchen Blödsinn zu stammeln, ritt Lena auf einer schwarzen Stute an uns vorbei. Und wäre ich bisher nicht von ihrem Können überzeugt gewesen, so hätte sie mich spätestens jetzt vom Hocker gehauen. „Wahnsinn! Bei ihr schaut das so … leicht aus.“
Julian stimmte mir zu. „Alles eine Frage des Trainings.“
Gut, ich hatte keine Ahnung, was die Technik anbelangte, doch sie saß so selbstverständlich im Sattel wie ich auf meinem Bürostuhl. Ich beneidete sie um ihre Selbstsicherheit und um die Eleganz, die sie auf dem Pferd ausstrahlte. Fasziniert beobachtete ich, wie sie ihre Runden zog und Cascada fest im Griff hatte. Einen kleinen Moment lang vergaß ich sogar, dass Julian neben mir stand.
„Jana, hättest du was dagegen, wenn ich dich heute nach Hause fahre? Dann brauchst du nicht zu warten, bis Lena mit dem Reiten fertig ist. So, wie ich meine Schwester kenne, brennt sie außerdem darauf, beim Ställe ausmisten zu helfen. Du würdest dich in der Zwischenzeit sicher nur langweilen.“
Julian hatte sich mir zugewendet, und seine Augen suchten unsicher in meinen nach Zustimmung. Wieder einmal war ich überrascht von der Tatsache, dass an diesem unglaublich attraktiven Mann solche Selbstzweifel nagten.
„Ob ich was dagegen habe, fragst du?“ Ich hob meine Stimme bewusst etwas mehr als nötig zum Satzende, und Julian wurde sichtlich nervöser. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und wippte von seinen Ballen auf die Fersen und wieder zurück. Sein Blick war auf den Boden gerichtet.
„Naja, es war nur so … ein Vorschlag von mir. Wenn du nicht willst, hab ich natürlich vollstes Verständnis dafür, und ich wär dir, nach allem, was zwischen uns war, auch nicht böse.“ Die Enttäuschung konnte er nicht verbergen, und mein Herz wurde schwer – ich konnte ihn nicht länger leiden lassen.
„Julian?“
Er hob den Blick, und ich erkannte tief in seinen Augen die Angst vor einer Zurückweisung.
„Ich freue mich sehr, wenn du mich nach Hause bringst.“
Ich beobachtete, wie meine Worte bei ihm ankamen. Und es war schön zu sehen, wie er sich über deren Bedeutung freute. Das Grinsen erreichte seine Augen, aus denen mehr und mehr die Unsicherheit
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