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Auf und ab - Mord in Hellwege

Auf und ab - Mord in Hellwege

Titel: Auf und ab - Mord in Hellwege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Wuensche
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als ich. Eigentlich direkte Nachbarschaft.«
    »Hast du das Tessmann schon gesagt?«
    »Natürlich, was glaubst du?«
    Holten hielt viel von Teamarbeit, ganz im Gegensatz zu von Taten.
    Der wirkte jetzt ein wenig verlegen, er tat so, als sei ihm gerade eine Idee gekommen.
    »Max, ...äh, kannst du dann nicht vielleicht bei der Familie vorbeischauen?«
    Mit › vorbeischauen ‹ meinte er natürlich das Überbringen der Todesnachricht, eine der unangenehmsten Pflichten für jeden Polizeibeamten. Ein Unglücksbote zu sein, den Moment direkt und hautnah mitzuerleben, wenn Frauen, Männer oder Kinder erkennen mussten, dass ein geliebter Mensch nie mehr bei ihnen sein würde, war bedrückend und deprimierend. Holten dachte unvermittelt an einen seiner ehemaligen Kollegen, der seinen Beruf wegen dieser belastenden Aufgabe an den Nagel gehängt hatte. In anderen Bezirken gab es Geistliche, die diese schwere Aufgabe übernahmen oder die Beamten unterstützten. Diese Möglichkeit bestand in diesem Bezirk nicht.
    Er erinnerte sich noch an sein erstes Mal. Eine junge Frau und Mutter war vergewaltigt und ermordet worden, und er war derjenige, der dem Ehemann und jungen Vater die schreckliche Wahrheit begreiflich machen musste. Er war völlig unvorbereitet in diese Situation geraten, weil sein d amaliger Vorgesetzter, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen war, während der Untersuchung des Falles zum Tatort eines weiteren schweren Verbrechens gerufen worden war. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen erwachsenen Mann hemmungslos weinen sehen. Nicht jeder reagierte nach außen sichtbar so intensiv, doch immer konnte man die Verzweiflung in den Gesichtern der Betroffenen von Sekunde zu Sekunde wachsen sehen. Vor diesem Anblick hatte sich Holten immer gefürchtet, da er in dieser Situation nie helfen konnte.
    Gleichzeitig wusste er, dass man diese traurige Pflicht auf verschiedene Weisen erfüllen konnte, und er konnte sich vorstellen, wie von Taten es anstellen würde. Es würde korrekt, vorschriftsmäßig und ordentlich sein. Doch das wollte er Elke Lehmberg so nicht zumuten.
    Von Taten musste also nicht allzu viel seiner nicht sehr ausgeprägten Überredungskunst anwenden, um Holten zu überzeugen, diese Aufgabe zu übernehmen.
    »Und sag ihr, dass ich morgen wegen diverser Fragen noch einmal bei ihr vorbeikomme – und dass sie ihn noch identifizieren muss.«
    Er wollte sichergehen, dass Holten seine Nachbarin ausführlich und komplett auf die schwierige Zeit, die ihr jetzt bevorstand, vorbereitete.
    »Ja, ja, ich weiß schon, was ich zu tun habe. Ich mach’ mich nun aber auch auf den Weg. Ich melde mich dann.«
    Holten machte sich auf den Heimweg. Er ging nicht schnell und ließ sich Zeit. Das Bild des toten Wilhelm Lehmberg ging ihm nicht aus dem Kopf. Immer wieder fragte er sich, wer wohl zu so etwas fähig war.
    Es war gegen dreiundzwanzig Uhr, als Holten zu Hause ankam. Auf dem Heimweg hatte er erstaunt festgestellt, dass ihm niemand begegnet war und der Ort ganz still war. Fast immer begann die Gerüchteküche zu brodeln, sobald ein Wagen mit Sirene oder Martinshorn durchs Dorf fuhr, und die Leute erzählten sich ihre ganz persönlichen und zuweilen waghalsigen Vermutungen dazu. Dann erinnerte er sich, dass heute der Pilotfilm der neuen amerikanischen Mysteryserie im Fernsehen lief. Wahrscheinlich hatte das ganze Dorf gebannt vor dem Fernseher gesessen, und niemandem war etwas aufgefallen.
    › Um unwahrscheinliche Ereignisse zu erleben, ist man nicht auf das Fernsehen angewiesen ‹, dachte er grimmig.
    Zuerst musste er seiner Frau die schreckliche Geschichte erzählen. Dann wollte er sich noch vorbereiten und ein wenig sammeln, bevor er zu Elke Lehmberg hinüberging. Er blieb einen Moment im Dunkeln vor der Nebeneingangstür ihres Hauses stehen und spürte plötzlich, wie die Katze um seine Beine strich, bevor er die Tür öffnete. Sie schlüpfte mit ihm ins Haus und forderte dann maunzend etwas zu fressen.
    »Es gibt nichts, du bist zu dick«, brummte er unwirsch. Als ob sie ihn verstanden hätte, stellte sie sich wieder vor die Tür, um hinausgelassen zu werden.
    Als er die Tür zur Küche öffnete, hörte er leise Stimmen aus dem Wohnzimmer und das beruhigende Hintergrundgeräusch des laufenden Fernsehgerätes. Er fragte sich, wer um diese Zeit wohl noch zu Besuch sein könnte. Auf der Arbeitsplatte in der Küche entdeckte er eine geöffnete, fast leere Flasche Rotwein, und ihm fiel erst jetzt auf, dass er

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