Auf und ab - Mord in Hellwege
einem Übergang über den breiten Abzugsgraben, der am Rande des Flugplatzes entlangführte. Im Sommer floss in ihm nicht viel Wasser, sodass Holten schnell einen geeigneten Übergang finden und den Polizisten ohne Probleme zu einem Hochsitz führen konnte, der etwa zweihundert Meter südöstlich der Vereinsgebäude an der Ostseite der Bahn versteckt am Waldrand stand. Er war nicht allzu hoch und vor einigen Jahren vom Jagdpächter, Klaus Fermental, errichtet worden, hauptsächlich um auf Wildschweine anzusitzen, die in regelmäßigen Abständen die Grasbahn und -rollwege des Platzes verwüsteten. Sie pflügten mit ihren Rüsseln die Grasnarbe auf, um im Boden die Larven der Wiesenschnaken und andere Leckerbissen zu erbeuten. Doch auch ein Wildschweinbraten schmeckte wiederum sehr lecker, und seitdem Fermental einige Schweine erlegt hatte, hatten die schlauen Schwarzkittel erkannt, dass der Flugplatz ein gefährliches Pflaster für sie war, und die Schäden waren zurückgegangen.
Als sie am Fuß des Hochstandes angekommen waren, stellte sich heraus, dass Holten recht gehabt hatte. Vor der Leiter war das hohe Gras niedergetreten, und das Türchen zum Ansitz oben stand offen. Bis zum Waldweg, der in ungefähr zwanzig Metern Entfernung vorbeiführte, konnte man noch Spuren feststellen, da sich das lange, feuchte Gras noch nicht wieder aufgerichtet hatte. Auf dem Weg hatte vermutlich ein Wagen gestanden, doch leider war an keiner Stelle auf dem kurzen unterwüchsigen Gras des Weges ein Profil auszumachen. An einigen Stellen hatten die ortsansässigen Landwirte auf dem Weg Bauschutt abgeladen und verdichtet, um Löcher einzuebnen, doch der Wagen war nur auf dem bewachsenen Untergrund gefahren. Somit bestand keine Möglichkeit, weitere Fuß- oder Wagenspuren zu finden.
Tessmann war bereits eilig unterwegs, um die Herren der Spurensicherung herbeizuholen. Holten trottete hinterher und überlegte, wer diesen kleinen versteckten Hochsitz wohl kennen mochte: Vereinzelte Spaziergänger, die zufällig vorbeigekommen waren, die meisten Mitglieder der Flugsportgruppe, weil sich manche Fliegerfrauen an schönen Sommertagen an diesem geschützt liegenden Platz unbekleidet dem Sonnenbaden hingaben, einige Bauern, die Fermentals als Jagdpächter natürlich und die Firma Kasing, die ihn gebaut hatte. Es waren zu viele, um alle auf eine Verbindung zu Riecker hin zu überprüfen, aber dass der Name Kasing auf dieser gedanklichen Liste auftauchte, verwunderte Holten schon nicht mehr.
Im Clubraum herrschte nun reger Betrieb, wie an einem Wochenendtag.
Zwei Herren des Vorstandes waren eingetroffen, mehrere Reporter machten Interviews und Fotos, und die ermittelnden Polizisten gönnten sich eine Pause im Vereinslokal.
Holten war dieser ganze Rummel zuwider. Er konnte hier nichts mehr ausrichten, und deshalb verabschiedete er sich und trat den Heimweg an.
Außerdem war er hungrig.
Weil Susanne nicht da war, musste er für sich und seinen Sohn, der bald mit ebenfalls knurrendem Magen von der Schule kommen würde, das Mittagessen zubereiten. Er hatte nicht mehr viel Zeit und wusste noch nicht, was er kochen sollte.
Warum nicht Nudeln mit Tomatensoße?
Der Wind kam natürlich von vorn, und während er angestrengt in die Pedale trat, drehten sich seine Gedanken andauernd um die eine Frage: Warum tauchte nur immer wieder der Name Kasing auf?
Am nächsten Tag stand Holten am Vormittag gegen zehn Uhr vor Lehmbergs Haustür und klingelte. Er hatte tags zuvor immer wieder versucht, irgendein mögliches gemeinsames Motiv für die beiden Morde zu finden. Da ihm dies jedoch nicht gelungen war, hatte er beschlossen, sich zunächst näher mit der Drohbriefangelegenheit zu beschäftigen.
Elke Lehmberg öffnete.
»Hallo, Max, schön, dass du da bist.«
»Morgen, Elke. Passt es dir , wenn ich mich jetzt einmal in Wilhelms Arbeitszimmer umsehe?«
»Ja, natürlich. Mir ist nicht ganz wohl in meiner Haut mit diesem Brief im Haus, und ich möchte die Sache geklärt haben.«
Sie führte ihn ins Haus und öffnete die zweite Tür, die von der Diele abging. Holten bot sich der Anblick eines normalen Arbeitszimmers eines allein arbeitenden Architekten. Der Raum hatte zwei große Fenster. Vor dem einen befand sich ein Schreibtisch aus Glas mit einem großen Computerbildschirm auf der linken Seite, davor ein Ledersessel. Rechts davon an der Wand stand das Zeichenbrett. Vor dem zweiten Fenster gab es einen kleinen Besprechungstisch mit zwei Sesseln, an den
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