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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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wir schlafen könnten.
Dir macht das ja nichts aus, du brauchst keine Brille.“
    „Da drüben ist ein Steg“, sagte Julia, „vielleicht
könnten wir da drunter schlafen.“
    Schweigen. Die Erinnerung an die
vergangene ungemütliche Nacht spukte beiden im Kopf herum.
    „Wenigstens haben wir das Meer, wo wir
uns waschen können“, meinte Julia. Ihre Laune besserte sich. „Ich bin
wenigstens sauber. Du bist noch nicht mal sauber, Nathan.“ Eingeschnappt
überlegte Nathan. „Es gibt Hotels am Strand“, sagte er schließlich. „Könnten
wir nicht in ein Hotel gehen?“
    „Sie würden uns nie reinlassen“, meinte
Julia zweifelnd. „Warum nicht?“
    „Na ja — ich weiß auch nicht. Was
sollten wir denn sagen?“
    „Keine Ahnung.“
    Eine Weile saßen sie schweigend da und
suchten nach einer Lösung.
    „Wir könnten sagen, daß ich deine große
Schwester bin.“ Julia waren ihr Make-up und der Rock mit dem Schlitz
eingefallen. Das Make-up war beim Schwimmen natürlich zum größten Teil
abgewaschen worden, doch sie konnte jederzeit neues auflegen.
    „Du bist ja blöd“, sagte Nathan
verächtlich.
    „Ich bin nicht blöd. Warum soll das
blöd sein?“
    „Ich hab eine andere Hautfarbe als du.“
    „Hm, stimmt. Hab ich total vergessen.
Aber ich hab’s! Du könntest mein adoptierter Bruder sein.“
    „Ach ja?“
    „Ja. Weiße Eltern adoptieren manchmal
schwarze Babys. Meine Mutter kennt jemand, der das gemacht hat... Komm, wir
gehen in ein Hotel, wo wir ein richtiges Bett haben.“
    Der Gedanke war höchst verlockend.
    „Was sollen wir denn sagen?“ fragte nun
Nathan. „Daß wir hier Ferien machen?“
    „Das glauben sie uns nicht. Dann müßte
doch unsere Mutter dabei sein.“
    „Stimmt.“
    „Ich weiß!“ sagte Julia. „Unsere Mutter
ist im Krankenhaus hier in der Nähe, und wir sind hergekommen, damit wir sie
besuchen können.“
    „Die Idee ist super!“ Für den
Augenblick vergaß Nathan sogar seine kaputte Brille.
    „Dann suchen wir uns jetzt ein Hotel“,
sagte Julia. Sie zog ihre Kleider über den nassen Bikini und schminkte sich,
wobei sie den Taschenspiegel auf den Knien balancierte.
    Sie gingen über den Kies und dann die
Treppe hinauf zur Uferpromenade. An der Uferstraße standen Häuser, die aussahen
wie Hotels.
    „Da ist eines“, sagte Nathan.
    „Da können wir nicht rein“, meinte
Julia entsetzt.
    „Warum nicht?“
    „Das ist nur für bessere Leute.“
    „Oh. Wo ist dann eines für uns?“
    „In einer kleinen Straße, nehm ich an.
Probieren wir es mal hier rauf.“
    Sie kehrten dem Meer den Rücken und
gingen in Richtung Stadtmitte. Sie waren sich nicht ganz sicher, welches Hotels
und welches Privathäuser waren, da Nathan ohne seine Brille die Schilder nicht
entziffern konnte. Julia konnte sie natürlich auch nicht lesen, doch das hatte
einen anderen Grund. Vor einem Haus mit einem Schild im Fenster blieben sie
stehen.
    „Was steht da?“ fragte Nathan, und
Julia buchstabierte. „Zimmer frei“, sagte Nathan.
    „Das heißt, daß man hier wohnen kann,
oder?“
    „Natürlich heißt es das, du dumme Kuh.“
    Das Haus machte keinen sehr
freundlichen Eindruck. An den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab, und die
Vorhänge sahen reichlich schmuddelig aus.
    „Sollen wir es probieren?“ fragte
Julia.
    „Warum nicht. Wir werden schon sehen,
was passiert.“
    Die Frau, die auf ihr Läuten hin zur
Tür kam, sah aus, als sei sie mindestens hundert Jahre alt. Sie hatte
schütteres weißes Haar, das von einem Haarnetz zusammengehalten wurde, und ein
zerfurchtes gelbliches Gesicht. Sie war sehr mager, und sie ging etwas steif,
so als schmerze sie jede Bewegung. Ihre müden Augen wirkten jedoch freundlich,
und das Lächeln, mit dem sie die beiden begrüßte, hätte man mit Kerzenlicht in
einem zugigen Zimmer vergleichen können: ein wenig zittrig und unsicher, aber
dennoch hell und warm. „Ja?“ fragte sie und schaute von einem zum andern.
    „Haben Sie ein Zimmer?“ fragte Julia
und hoffte, daß ihre Stimme erwachsen genug klang.
    „Ja, ich habe eines. Für euch beide?“
    „Für mich und meinen kleinen Bruder“,
sagte Julia mit wachsendem Selbstvertrauen.
    „Ich verstehe.“ Der Gesichtsausdruck
der Frau verriet zwar, daß sie nichts verstand, doch sie war zu höflich, um
persönliche Fragen zu stellen. „Ein Zimmer mit zwei Betten? Wäre das in
Ordnung?“
    „Ja, das wäre sehr gut“, sagte Julia
und versuchte so zu klingen, als mietete sie jeden Tag ein

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