Auf und davon
bestimmt keinen guten Eindruck. Dann
ging sie in eine Drogerie und kaufte einen Kamm. Sie hatte das Gefühl, daß ihr
Haar sehr unordentlich aussah, und fürchtete, damit aufzufallen.
Und in der Drogerie hatte Julia dann
eine Idee.
Auf den Regalen war alles ausgestellt:
Lippenstift, Lidschatten, Rouge — was man sich nur vorstellen konnte. Julia
wußte, wozu man solche Sachen brauchte, bei ihrer Mutter hatte sie es oft genug
gesehen. Sie kam sich ein bißchen komisch vor dabei, doch sie nahm von jedem
etwas und trug es zur Kasse. „Die Sachen sind für meine Schwester“, erklärte
sie, doch die Verkäuferin wollte es gar nicht wissen.
Aufgeregt schleppte Julia ihre
Errungenschaften in die Damentoilette. Nathan hockte draußen in der
Schalterhalle und war beleidigt, weil sie ihm nicht sagen wollte, was sie
vorhatte. Im vorderen Teil der Toilette bei den Waschbecken standen eine ganze
Reihe Frauen, und Julia war froh, daß sie daran gedacht hatte, einen
Handspiegel zu kaufen. Sie schloß sich in einer der Toiletten ein, lehnte den
Spiegel auf dem zugeklappten Toilettendeckel gegen die Wasserleitung und kniete
sich auf den Boden. Mit ungeübten Fingern schminkte sie sich, so gut sie
konnte. Soweit sie es in dem kleinen Spiegel beurteilen konnte, war das
Resultat nicht schlecht. Sie hatte ihre Zöpfe gelöst und das dünne hellblonde
Haar ausgekämmt. Es fiel ihr jetzt in kleinen Kräuselwellen über die Schultern.
Sie hatte nichts, womit sie es hätte zurückbinden können, so daß es ihr auch
ins Gesicht fiel, aber ältere Mädchen trugen das Haar oft so. Sie flickte ihr
Kleid mit dem Klebeband und ging dann hinaus, um Nathan zu suchen.
Im Vorbeigehen schaute sie in die
großen Spiegel über den Waschbecken. Ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen. Sie
sah tatsächlich hübsch aus.
Nathan wartete immer noch in der
Schalterhalle, und im ersten Moment erkannte er sie nicht.
„Ich bin’s“, sagte Julia verlegen.
„Wozu hast du das gemacht? Wozu hast du
dir das ganze Zeug ins Gesicht geschmiert?“
An seiner Miene konnte sie nicht
ablesen, was er davon hielt, aber wenigstens lachte er sie nicht offen aus.
„Gefällt es dir nicht?“
„Es ist okay... ziemlich gut sogar. Du
siehst älter aus.“
„Ich weiß“, sagte Julia. „Ich hab’s
gemacht, damit ich die Fahrkarten kaufen kann.“
Nathan runzelte die Stirn. „Dein Kleid
paßt nicht dazu.“
„Weiß ich auch, aber für den Mann am
Schalter spielt es keine Rolle. Er sieht doch nur mein Gesicht.“
Nathan überlegte. „Man sieht dich aber
im Zug — und wenn wir wieder aussteigen. Warum kaufst du dir nichts anderes zum
Anziehen?“
„Soll ich?“ Julia war sich nicht
sicher, ob sie die Nerven dazu hatte.
„Ja. Geh schon, geh.“
Julia lief zurück zur Toilette, um noch
ein paar Geldscheine aus der Plastiktüte unter ihrem Kleid zu holen. Sie hatte
keine Ahnung, wieviel ihre neuen Sachen kosten würden, und so nahm sie drei
Scheine heraus, um ganz sicher zu sein, daß es reichte.
Sie fanden ein kleines Modegeschäft
nicht weit vom Bahnhof entfernt. Es sah aus wie ein Geschäft nur für
Erwachsene, und als Julia es betreten wollte, verließ sie der Mut.
„Geh schon“, sagte Nathan. „Worauf
wartest du noch?“
„Ich trau mich nicht.“
„Geh schon, ich helfe dir.“
Julia zögerte immer noch, so daß Nathan
ihr einen Schubs gab. Sie stolperte in den Laden, und jetzt gab es kein Zurück
mehr. Julia holte tief Luft. „Wir suchen nach etwas für die Schwester von
meinem Freund hier“, sagte sie zu der Verkäuferin, doch die war mit ihren
Gedanken woanders und hörte gar nicht richtig hin. Und so suchten die beiden
eine lose geschnittene rosa Bluse mit weiten Ärmeln aus und einen dunkelblauen
Rock mit einem Schlitz an der Seite. In einem anderen Laden kauften sie
Sandalen mit kleinen Absätzen und eine billige Schultertasche, die in der Farbe
zu dem Rock paßte. Dann ging es zurück zur Damentoilette im Victoria-Bahnhof.
Julia konnte es kaum erwarten, in ihre neuen Sachen zu schlüpfen.
Dieses Mal schaute ihr beim Blick in
den Spiegel eine völlig verwandelte Person entgegen. Bei ihrer Größe und mit
dem Make-up und den neuen Kleidern sah sie mindestens wie sechzehn aus.
Überrascht blieb sie eine Weile vor dem Spiegel stehen, drehte sich nach allen
Seiten und freute sich über das, was sie sah. Sie lächelte zaghaft, und das
ließ sie noch hübscher erscheinen. Julia trippelte auf ihren Absätzen hinaus,
um sich Nathan zu
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