Auf und davon
grimmig. Für den Augenblick ignorierte er das Schmerzensgeheul
seines Sohnes und streckte die Hand aus, um Julia zu packen. In diesem Moment
kam endlich auch Bewegung in Julia. Sie wollte losrennen, doch die Absätze
ihrer lächerlichen Sandalen behinderten sie. Sie knickte um und stieß sich
schmerzhaft an dem Automaten. Der dicke Mann hatte leichtes Spiel. Mit Händen
wie Schraubstöcke packte er sie an den Armen. „Jetzt hab ich dich, jetzt hab
ich dich“, sagte er immer wieder.
Julia drehte und wand sich. „Loslassen,
loslassen, Sie tun mir weh!“ rief sie. Sie versuchte ihm auf den Fuß zu treten,
und als das nicht klappte, beugte sie den Kopf und biß in eine der Hände, die
sie festhielten. Sie tobte, war außer sich vor Angst. Die ganze Spielhalle
schaute inzwischen in ihre Richtung. Zwei kräftige junge Männer deuteten die
Situation falsch. „Laß sie ihn Ruhe, Alter!“ rief einer von ihnen.
„Es ist Julia Winter“, rief der dicke
Mann zurück. Er keuchte schon vor Anstrengung. Julia festzuhalten, war nicht so
einfach. Doch der Name sagte den Jugendlichen nichts. Drohend kamen sie auf das
ungleiche Paar zu. Trotz der Kälte trugen sie nur Jeans und T-Shirts, und auf
ihren Armen waren grausige Tätowierungen zu sehen. Beide hatten Punkerfrisuren.
„Ich hab gesagt, du sollst sie loslassen, Alter!“ grollte der eine.
Der dicke Mann hatte keinen Atem mehr
für eine Erklärung. Er war schon verdächtig rot im Gesicht, und als die beiden
Jugendlichen ihn an den Armen packten, einer rechts, der andere links, gab er
den ungleichen Kampf auf. Julia rannte zum Ausgang und hinaus in den Regen.
Der dicke Mann saugte bekümmert an
seiner Hand, wo sich Julias Zähne deutlich abzeichneten. „Sie hat mich gebissen“,
murmelte er.
„Geschieht dir recht“, sagte der
Punker, „sich an kleinen Mädchen zu vergreifen!“
„Ich hab mich nicht an ihr vergriffen,
du Esel“, keuchte der dicke Mann wütend. „Ich hab sie nur festgehalten. Das war
Julia Winter, das Mädchen, das von zu Hause weggelaufen ist. Und der andere war
Nathan Browne. Sie sind zusammen abgehauen — es war im Fernsehen und in der
Zeitung. Jetzt sind sie wieder entwischt — dank eurer Hilfe... Komm, Stuart“,
sagte er zu seinem jammernden Sohn, „so schlimm kann es nicht sein. Er ist doch
nur ein kleiner Wicht.“
Die beiden Jugendlichen sahen sich an.
Sie kamen sich blöd vor. „Vielleicht sollten wir ihnen nach“, meinte der eine,
der bisher geschwiegen hatte.
„Ach, laß gut sein“, sagte der andere. „Das
sollen die Bullen machen. Wir sagen es ihnen. Die kriegen sie schon.“
„Genau das mache ich jetzt“, sagte der
dicke Mann. „Zur Polizei gehen. Und zwar sofort.“
In der Zwischenzeit stolperte Julia
schluchzend die Promenade entlang. Nathan — wo war Nathan? Sie wußte nicht
einmal, in welche Richtung er gelaufen war. Sie fühlte sich schrecklich allein
und hatte Angst. Sie schaute in alle Seitengäßchen, aber Nathan entdeckte sie
nirgends. Sie schaute sogar in die öffentliche Herrentoilette, aber da war er
auch nicht. Er hatte sie im Stich gelassen. Zitternd und mit weichen Knien
schaute sie sich um, ob der dicke Mann ihr folgte, aber bei dem starken Regen
war kein Mensch auf den Straßen. Julia merkte erst jetzt, daß sie völlig
durchnäßt war. Ihre Bluse und der Rock waren vorne, wo der Regenmantel offen
stand, klatschnaß.
Sie beschloß, zu Mrs. Parsons zu gehen.
Dort wollte sie auf Nathan warten. Vielleicht war er ja auch schon da.
Höchstwahrscheinlich war er da. Warum hatte sie nicht schon vorher daran
gedacht? Sie wischte sich die Tränen und den Regen aus den Augen und machte
sich auf den Weg zur Pension.
Mrs. Parsons kam aus der Küche gehinkt,
als Julia die Haustür öffnete.
„Beverley, wie naß du bist! Der Himmel
weiß, du kannst dir den Tod holen!“ Sie hielt inne, als sie sah, daß Julia
geweint hatte. „Warst du bei deiner Mutter?“
Julia wandte den Kopf ab. Sie war so
fertig, daß sie sich nicht einmal zu reden traute.
„Charlie ist oben“, sagte Mrs. Parsons.
„Er schien auch etwas durcheinander. Vielleicht hilft es, wenn ihr mit jemandem
reden könnt.“
„Es geht ihr schlechter“, sagte Julia. „Es
geht ihr immer schlechter.“ Sie hatte jetzt eine Entschuldigung, um die Tränen
frei laufen lassen zu können.
„Du armes Kind“, sagte Mrs. Parsons
mitfühlend.
„Ich bin kein Kind mehr“, schluchzte
Julia.
„Ich weiß, ihr jungen Mädchen haltet
euch heutzutage für
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