Auf und davon
stöhnte. „Jule — überleg doch!
Da hinten war auch ein steiler Berg. Wenn wir zurückgehen, müssen wir auch
schieben. Da fahren wir lieber weiter. Mal sehen, wo die Straße hinführt.“
„Gut, aber hoffentlich finden wir bald
was. Ich bin müde.“
„Ich bin mehr als müde“, sagte Nathan. „Ich
bin total fertig. Fix und fertig bin ich. Ich weiß nicht mal, ob ich noch aus
dieser Stadt rauskomme. Wahrscheinlich fall ich aus dem Sattel und brech mir
noch den anderen Arm... Nicht wirklich, du dumme Pute.“
Zum Glück war die Straße, die aus
Porlock hinausführte, noch ziemlich eben und das Treten nicht gar zu mühsam.
Sie fanden jedoch keinen Platz, an dem sie das Zelt hätten aufschlagen können,
keinen Platz, der nicht einzusehen war und wo es auch noch Wasser gab. Sie
kamen an einem Schild vorbei, das zu einem Campingplatz wies, und Nathan fragte
Julia, was sie davon halte, auch wenn er die Antwort schon im voraus wußte.
„Wir können doch nicht auf einen
richtigen Campingplatz. Ausgeschlossen! Sie stellen Fragen. Sie wollen bestimmt
wissen, wo unsere Eltern sind.“
Sie hatten Geld genug, um auf einen
Campingplatz zu gehen — in ein Hotel sogar — , und konnten es nicht gebrauchen,
weil die Leute Fragen stellen und sie geschnappt würden.
Sie fuhren weiter, in der Hoffnung, das
Problem würde sich von allein lösen.
Plötzlich stieß Julia einen
Freudenschrei aus: „Das Meer! Das Meer!“ Sie bogen nach rechts ab und
erreichten einen Ort, der sich „Porlock Weir“ nannte. Es war keine richtige
Stadt, nur eine Ansammlung von Häuschen und kleinen Teestuben. Aber Julia hatte
recht, man konnte den blaugrünen Streifen am Horizont Meer nennen. Zwischen den
Häuschen und dem Meer lag ein breiter, steiniger Strand.
„Das ist aber ein häßlicher Strand hier“,
stellte Julia enttäuscht fest. „Überhaupt nicht wie in Brighton. Brighton
gefällt mir viel besser. Dir nicht auch, Nathan?“
„Klar. Nur — was machen wir jetzt? Es
gibt keine Straße mehr.“
Er hatte recht. Die Straße endete in
dem winzigen Dorf. Auf der einen Seite lag das Meer, und auf der anderen waren
nur noch steile bewaldete Hügel. Und vor ihnen lag ein kleiner Hafen, in dem
natürlich kein Wasser war, da in diesem Teil der Welt permanent Ebbe zu
herrschen schien. Dafür gab es um so mehr bunte kleine Boote — Segelboote,
Ruderboote und Motorboote.
„Ich hab schon wieder Hunger“, sagte
Julia. „Glaubst du, daß jetzt Abendessenszeit ist?“
„Wahrscheinlich. Komm, wir holen uns
was zu essen, dann überlegen wir, was wir machen.“
Sie kauften Pommes frites, heiße
Gemüsekuchen und eine große Flasche Limonade. Zum Nachtisch kauften sie noch
Schokoriegel. Dann setzten sie sich auf die Steine und aßen.
„Es gibt nicht mal ‘ne Höhle hier“,
meinte Julia verzagt.
Die Sonne war inzwischen hinter den
steilen Hügeln verschwunden, und ein kalter Wind war aufgekommen. Als sie
angekommen waren, hatten sie noch ein paar Leute am Strand und auf einer Art
Damm auf der gegenüberliegenden Hafenseite gesehen, doch nun war alles
menschenleer. Nur noch Möwen gab es und eine schwarze Katze mit müden runden
Augen, die langsam über die Steine stolzierte.
Nathan lockte die Katze, und sie kam
sofort, rieb den Kopf an seiner streichelnden Hand und schnurrte. Er dachte an
seine Katzen in London, die aus dem leerstehenden Haus, und fragte sich, wie
sie wohl zurechtkamen, jetzt, wo er sie nicht mehr versorgte. Ganz unerwartet
und schmerzhaft überkam ihn das Heimweh, doch er schob das Gefühl sofort
entschlossen beiseite. Nur weil sie ein bißchen müde waren und nicht wußten,
wohin, brauchten sie noch lange nicht an zu Hause zu denken, an Katzen und
sowas. Nathan hörte auf, die Katze zu streicheln und schubste sie mit dem Fuß
sacht von sich.
„Geh weg, Pussi, geh heim.“
Beleidigt stolzierte die Katze davon,
den Schwanz steil nach oben gereckt.
„Ich nehm an, wir müssen hierbleiben“,
sagte Nathan, da einer es aussprechen mußte.
„Am Strand?“
„Wo sonst?“
„Und wenn uns jemand sieht?“
„Wir verstecken uns hinter den Zelten.“
„Es kann uns trotzdem jemand sehen. Und
die Fahrräder. Sie schnappen uns, Nathan.“
„Aber es ist doch keiner da, Jule. Es
ist doch keiner da, der uns sehen könnte. Sie sind alle in ihren Häusern, essen
zu Abend und schauen fern.“
„Ich wär auch gern im Haus und würd
fernsehen.“
„Wärst du nicht. Nicht wirklich. Du
wünschst dir das doch nicht
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