Auf und davon
geliehen, wenn sie noch eines gehabt
hätte. Es tat ihr unendlich leid, daß sie ihm keine warme Mahlzeit zubereiten
konnte, nicht mal eine Tasse Tee. Er hatte zwar Streichhölzer mitgebracht, doch
nach dem Regen war ja alles naß.
So ausgelaugt und durchgefroren Nathan
auch war, vergaß er doch nicht, von Julia ihren Anteil der Kosten für die
Einkäufe zu verlangen — und sie gab ihm das Geld augenblicklich, was ja nur
recht und billig war. Voller Stolz zeigte sie ihm das Loch, das sie unter ihrem
Zelt gegraben hatte, doch er war zu müde, um sich sehr dafür zu interessieren.
Am nächsten Morgen schien wieder die
Sonne. Nicht so heiß wie vorher, aber das war nur angenehm. Es hätte ein
glücklicher Tag werden können, aber irgendwie war es nicht so. Irgendwie war
Nathan nicht er selbst, jedenfalls nicht der, der er in letzter Zeit geworden
war. Er glich wieder mehr dem sauertöpfischen, schlechtgelaunten Jungen, der in
der 6. Klasse so unbeliebt gewesen war. Er war gereizt und schnauzte Julia
wegen jeder Kleinigkeit an. Sie konnte ihm nichts recht machen. Schließlich
trieb seine unfreundliche Art ihr die Tränen in die Augen.
„Was ist los mit dir, Nathan Browne?“
„Mir geht’s nicht gut.“ Er hustete beim
Sprechen, und Julia wurde erst jetzt bewußt, daß er den ganzen Tag schon ein
bißchen gehustet hatte.
„Hast du dich erkältet?“
„Ja — ich bin gestern schließlich ganz
schön naß geworden. Die Augen tun mir auch weh.“
„Soll ich mal versuchen, ob ich ein
Feuer in Gang kriege? Soll ich uns was Heißes zu trinken machen?“
„Ja, versuch’s mal.“
Auf halber Höhe des Hügels war ein
kleines Wäldchen. Vielleicht fand Julia dort ein paar Äste, die trocken genug
waren. Sie sammelte ein Bündel und schichtete sie unten beim Bach auf. Es
dauerte lange, bis sie das Feuer in Gang brachte, und sie verbrauchte eine
Menge Streichhölzer, aber sie war froh, etwas tun zu können.
„Ich hab’s geschafft!“ rief sie
endlich, als die Flammen loderten und das Holz knisterte. Sie füllte den kleinen
Topf mit Wasser aus dem Bach, und etwas später — tatsächlich war es um einiges
später — saßen die beiden nebeneinander im feuchten Farn und nippten an ihrem
dampfenden Tee.
Nathan schauderte. „Mir ist kalt“,
klagte er.
„Das kann nicht sein. Es ist doch warm,
die Sonne scheint, du kannst nicht frieren.“
„Ich frier aber trotzdem.“ Er zog den
Anorak enger um sich und fror immer noch.
„Er ist noch nicht richtig trocken“,
warnte Julia ihn. „Das ist nicht gut für deine Erkältung. Hier, nimm meinen
noch mal.“ Nathan wickelte sich in Julias Anorak, doch eine halbe Stunde später
zog er ihn aus und sein T-Shirt auch. „Ich koche“, sagte er gereizt.
Julia betrachtete ihn besorgt. Irgend
etwas stimmte nicht mit ihm. Er mußte eine schlimme Erkältung haben, wenn es
ihm abwechselnd heiß und kalt war. Vielleicht ging es ihm wieder besser, wenn
er eine Nacht lang richtig gut geschlafen hatte. „Morgen geht’s dir wieder
besser“, tröstete sie ihn.
Doch am nächsten Morgen ging es ihm nur
noch schlechter. Er hustete mehr und klagte über Halsschmerzen, und das Licht
tat ihm in den Augen weh. Er blieb den ganzen Morgen über im Zelt und wollte
nichts essen, aber den Tee, den Julia ihm brachte, trank er. Am Nachmittag
schien es ihm ein wenig besser zu gehen. Er setzte sich an den Bach und
schnitzte ein kleines Boot. Aus einem großen Blatt machte er ein Segel und
setzte das Boot ins Wasser. Es kenterte an einem Stein, und Nathan verlor das
Interesse daran.
Am nächsten Tag war Nathan ernsthaft
krank.
Als Julia nach ihm rief, antwortete er
nicht. Sie wußte, daß er wach war, weil sie ihn im Zelt herumgeistern hörte.
Als sie sich bückte und eine der beiden vorderen Zeltbahnen zur Seite schob,
sah er sie mit glänzenden Augen an, schien sie jedoch nicht zu erkennen.
„Willst du eine Tasse Tee, Nathan?“
Julia versuchte, ihrer Stimme einen ganz normalen Klang zu geben, aber sie
bekam es langsam mit der Angst zu tun.
Nathan hustete und versuchte den
Schlafsack abzustreifen.
„Heiß“, sagte er, „mir ist heiß, heiß,
heiß.“
Julia half ihm, und als sie seine Haut
berührte, stellte sie fest, daß er vor Fieber tatsächlich glühte. „Eine Tasse
Tee?“ wiederholte sie. Etwas anderes fiel ihr nicht ein.
Nathan stöhnte und warf sich von einer
Seite auf die andere. „Es tut weh“, hörte Julia ihn sagen.
„Wo tut es weh? Was tut weh?“
„Alles.
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