Auf verlorenem Posten
Sie wecken zu müssen, Honor, aber es ist wichtig.« Die Kommissarin klang beinahe ängstlich. Honor setzte sich gerade hin, nachdem sie den Gürtel des Kimonos zugebunden hatte. »Was haben wir denn, Dame Estelle?«
»Zwei Informationen. Eine davon kam schon vor zwei Tagen herein, doch sie war so vage, daß ich beschloß, noch abzuwarten, bevor ich sie Ihnen mitteile. Barney hat mich gerade angerufen und die zweite übermittelt, und sie läßt die erste in einem anderen Licht erscheinen.« Honor nickte und legte den Kopf schräg, um die Kommissarin zum Weitersprechen aufzufordern.
»Ich bekam am Mittwoch einen Besuch von Gheerinatu, einem medusianischen Clanhäuptling«, sagte Matsuko. »Er hat für die Stadtstaaten des Deltas nicht mehr übrig als alle anderen Nomaden, doch wir haben seinem Clan vor zwei Jahren einmal geholfen. Die Nomaden ziehen wegen des Wetters mit den Jahreszeiten von einer Halbkugel zur anderen – oder wenigstens zur Äquatorzone und zurück. Gheerinatus Clan wurde jedoch von einem frühen Sturm überrascht, als er das Delta durchquerte. Wir haben mit NPA-Kontragravs den größten Teil der Clanmitglieder und gut die Hälfte ihrer Herde vor der Springflut gerettet, gerade als alle zu ertrinken drohten, und das macht uns zu seinen Freunden.«
Sie wartete und hob fragend eine Augenbraue, um zu sehen, ob Honor ihr folgen konnte. Honor nickte.
»Nun gut. Gheerinatu kommt aus dem Norden – sein Clan gehört zu den Hyniarch … nun, ich denke, wir könnten es als Clanföderation bezeichnen. Jedenfalls, für den Winter zieht der Clan nun nach Süden, doch Gheerinatu hat überall auf der Nordhalbkugel Verwandte und kam bei mir vorbei, um zu berichten, daß einer dieser Verwandten ihm eine Nachricht gesandt habe. Es war keine sehr genaue Nachricht, doch Gheerinatu fand, daß wir davon erfahren sollten. Grob übersetzt war es eine Warnung, das Delta sei kein geeigneter Ort zum Überwintern für Gheerinatu und seine Herden.«
Honors Gesicht spannte sich, und Dame Estelle nickte. »Das habe ich auch gedacht. Es ist das allererste, was wir von seiten der Eingeborenen hören, und wie ich schon sagte, ist es reichlich ungenau. Deswegen habe ich Ihnen auch nichts davon gesagt – bis diese andere Sache kam.« Die Kommissarin nickte in den Aufzeichner, und ihre Augen richteten sich auf die Hälfte des Bildschirms, auf der Isvarian zu sehen war. »Wollen Sie von hier weitermachen, Barney?«
»Jawohl, Ma’am.« Isvarian rutschte auf seinem Stuhl zurecht und sah Honor direkt an. »Ich bin in der Klinik, die wir hier oben bei Dauguaar am Fluß der Drei Gabelungen betreiben, Captain«, sagte er. Honor dachte einen Moment nach und rief sich die Karte des Deltas vor Augen. Der Fluß der Drei Gabelungen war recht weit im Norden und Dauguaar der nördlichste aller Stadtstaaten, was bedeutete, daß Dauguaar auch den Mossybacks am nächsten lag.
»Heute morgen erhielten wir einen Anruf«, fuhr Isvarian fort, nachdem sie sich die Geographie vergegenwärtigt hatte. »Ein Nomade war vor das Stadttor getaumelt und dort zusammengebrochen. Die Stadtwache brachte ihn zur Klinik und übergab ihn uns. Der Sanitäter vom Dienst erkannte die Symptome sofort: Mekohavergiftung im fortgeschrittenen Stadium. Aber er erkannte auch, daß der Nomade einen recht ungewöhnlichen Beutel am Gürtel trug. Er öffnete ihn, während die eingeborenen Helfer den Nomaden hineintrugen.« Isvarian griff nach etwas außerhalb des Erfassungsbereichs des Aufzeichners, dann zeigte er Honor einen Beutel, der so aussah, als bestände er aus Leder. Er öffnete ihn. Honors Mund zuckte, als sie das matte Schimmern projektilförmiger Bleigeschosse wahrnahm.
»Er hatte auch ein Pulverhorn«, fügte Isvarian grimmig hinzu. »Niemand fand eine Spur des Gewehrs, doch das hier reichte schon, um alle Alarmglocken schrillen zu lassen und noch so schnell hierherzubringen, wie ein Flugwagen fliegt. Fritz hier« – er wies auf Montaya, der seiner Kommandantin ein müdes Lächeln zuwarf – »wollte eine Mekohavergiftung mit eigenen Augen sehen, also habe ich ihn hierher mitgebracht. Wir beide verbrachten die meiste Zeit am Bett des Nomaden und hörten ihn stammeln, bis er vor etwa zehn Minuten starb.«
Der Major zuckte die Schultern; er wirkte unzufrieden. »Er war schon recht weit hinüber. Mekoha läßt einem in diesem Stadium nicht besonders viel Hirn übrig. Seine motorische Kontrolle hatte er verloren, was es auch nicht leichter machte, ihn zu
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