Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
hingerissen war von seiner neuen Gouvernante – fraglos die Hübscheste, die er je gehabt hatte –, wollte sie ihm sogar nachsehen, dass er die Intelligenz seiner Schwester in Zweifel gezogen hatte. Doch allmählich war es an der Zeit, dem gemütlichen Geplauder ein Ende zu machen.
Ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, rauschte sie mit einem vergnügten „Ist schon Teezeit?“ zur Küche herein.
James drehte sich erfreut nach ihr um. „Isabel! Was ist mit den beiden Männern? Hast du gesehen, wie groß der eine war?“
Natürlich habe ich das gesehen. Und der andere war ausgesprochen attraktiv. Fast hätte ich mich zum Narren gemacht .
Isabel goss sich einen Tee ein. „Wie hätte ich das übersehen können?“
„Wo sind sie? Bleiben sie hier?“
„Sie sind noch oben, bei den Skulpturen.“
„Darf ich hochgehen?“, fragte er so hoffnungsvoll, dass sie fast geneigt war zuzustimmen.
„Nein, darfst du nicht.“
„Warum? Ich bin doch jetzt der Earl und muss alle auf Townsend Park beschützen. Ich finde, ich sollte mir die Männer mal genauer ansehen.“
Es ließ Isabel aufhorchen, dass James glaubte, sie alle beschützen zu müssen – zumal er sich zuvor erst besorgt um sie gezeigt hatte. Sie war stets bemüht gewesen, den Ernst ihrer Lage und die heikle Situation der Mädchen vor ihm zu verbergen, aber ihr kleiner Bruder wurde eben auch älter, und ihm entging nur wenig. Isabel ahnte, dass es mit Beschwichtigungen nicht getan wäre. „Das weiß ich sehr zu schätzen“, versicherte sie ihm aufrichtig. „Als Herr des Hauses bist du für unser aller Wohlergehen unerlässlich. Aber die beiden Gentlemen sind sehr beschäftigt und wir wollen sie nicht unnötig von der Arbeit ablenken.“ Als sie die entschlossene Miene ihres Bruders sah, fügte sie hinzu: „Vielleicht können wir sie mal abends zum Essen einladen. Wie fändest du das?“
James dachte nach. „Ich finde, das wäre sehr aufmerksam von uns.“
Isabel musste sich ein Lächeln verkneifen und steckte sich einen Keks in den Mund. „Es freut mich, dass du einverstanden bist“, sagte sie und zwinkerte Georgiana zu, die ihr Lächeln hinter ihrer Teetasse versteckte. „Und jetzt hinaus mit dir.“
James betrachtete die beiden Frauen noch einen Moment, gelangte dann aber wohl zu dem Schluss, dass fern der Küche spannendere Abenteuer seiner harrten. Nachdem er sich noch einen Keks stibitzt hatte, sprang er von seinem Stuhl und rannte hinaus.
Isabel setzte sich auf den Platz ihres Bruders, nahm sich selbst auch noch einen Keks und meinte seufzend: „Danke, dass Sie wegen der Schule mit ihm gesprochen haben.“
„Das habe ich gern getan. Ein Earl braucht eine ordentliche Erziehung, Lady Isabel.“
Isabel seufzte erneut. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie auf derlei Förmlichkeit verzichten sollen.“
Die junge Frau lächelte. „Ganz im Gegenteil: Ich stehe in Ihren Diensten.“
„Unsinn“, empörte sich Isabel. „Sie sind höheren Standes als ich. Bitte, es wäre mir wirklich lieber, wenn Sie mich einfach Isabel nennen.“
Leise Wehmut schlich sich in den Blick des Mädchens. „Ich bekleide nun den Rang einer Gouvernante und kann mich noch glücklich schätzen, so eine gute, ehrbare Stellung gefunden zu haben.“
Isabel merkte, dass sie sich vergebens mühte, und wechselte das Thema. „Kennen Sie die beiden Männer, die heute gekommen sind?“
Georgiana schüttelte den Kopf. „Als sie kamen, war ich gerade dabei, James’ nächste Lektionen vorzubereiten. Ich habe die beiden gar nicht gesehen.“
„Sie sind aus London.“
„Von Stand?“ Leise Besorgnis hatte sich in ihre Stimme geschlichen.
„Lord Nicholas St. John ist der Bruder des Marquess of Ralston, sein Freund …“ Isabel verstummte, als sie Georgianas entsetzten Blick sah. „Georgiana?“
„Lord Nicholas und mein Bruder … sie … sie kennen sich.“ Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Ich bin ihm nie begegnet, aber …“
Natürlich kannten sie sich. Noch etwas, das die Situation zu einer Herausforderung machte.
„Georgiana“, sagte Isabel sanft, doch entschieden. „Es passiert Ihnen nichts. Als ich Sie aufgenommen habe, habe ich Ihnen versprochen, dass Sie in Minerva House sicher sind. Daran hat sich nichts geändert.“
Die junge Frau holte tief Luft und nickte verhalten.
„Seien Sie unbesorgt“, fuhr Isabel fort. „Die beiden werden gar nicht erfahren, dass Sie hier sind. Das Haus ist groß, und Sie sind James’
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