Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
waren – Isabel eines gelehrt hatten, dann das: Mit Männern war nicht zu spaßen. Sie hatte genügend Frauen gesehen, die sich von ihren Gefühlen und Begierden hatten ruinieren lassen, genügend Frauen – darunter auch ihre Mutter –, die einem charmanten Lächeln und betörenden Berührungen erlegen waren. Ihr würde das nicht passieren, das hatte sie sich geschworen.
Und deshalb würde sie jetzt gewiss nicht zulassen, dass ein dahergelaufener Londoner all ihre guten Vorsätze über den Haufen warf. Auch wenn er noch so ein lukrativer Lord und einer der begehrtesten Junggesellen Englands sein mochte.
Ehe sie zur Küche einbog, holte sie tief Luft und nahm sich fest vor, Lord Nicholas’ Anwesenheit einfach zu ignorieren. So schwer konnte das ja wohl nicht sein. Der Mann war Antikenkenner. Wahrscheinlich interessierte er sich sowieso für nichts anderes und würde den ganzen Tag oben bei den Skulpturen zubringen.
Nichts leichter, als ihm aus dem Weg zu gehen.
Außerdem hatte sie ganz andere Sorgen.
Ein ganzes Haus voller Sorgen.
Und bald nicht einmal mehr das, wenn sie kein neues fand.
„Sie können mich nicht einfach zur Schule schicken! Ich bin jetzt ein Earl. Niemand kann einem Earl vorschreiben, was er tun muss.“
Wie angewurzelt blieb Isabel stehen und spähte vorsichtig um die Ecke. James saß an dem alten Küchentisch, schnappte sich einen Keks und ließ ihn in seinen Tee fallen, dass es nur so spritzte. Eine Weile starrte er schmollend vor sich hin, dann sah er wieder Georgiana an, die ihm gegenübersaß.
Isabel verharrte reglos und lauschte. Sie hatte Georgiana gebeten, James auf die Notwendigkeit des Schulbesuchs hinzuweisen – natürlich in der Hoffnung, dass er sich mit der Idee anfreunden würde.
Dem schien bislang nicht so zu sein.
„Es ist leider so, James, dass es immer jemanden gibt, der einem sagen kann, was man zu tun und zu lassen hat. Sogar wenn man ein Earl ist.“ Seelenruhig goss Georgiana sich Tee ein.
„Aber ich will mir nichts sagen lassen.“
„Nun, mir gefällt es auch nicht sonderlich.“
„Ich bin schon ganz schlau“, trumpfte James auf.
Georgiana lächelte ihn an und nahm sich einen Keks. „Das bist du allerdings. Ich würde nie etwas anderes zu behaupten wagen.“
„Ich kann lesen, schreiben und rechnen. Und Latein kann ich auch.“
„Sehr gut sogar. Aber junge Männer … junge Earls … gehen nun mal zur Schule.“
„Was soll ich denn in der Schule lernen, was Sie mir nicht beibringen können?“
„Alles Mögliche. Sachen, die nur Earls lernen.“
Er beobachtete sie, wie sie unschlüssig ihren Keks betrachtete. „Wenn Sie ihn in den Tee tunken, schmeckt er besser.“
Isabel musste schmunzeln. Wahrscheinlich hatte Georgiana in ihrem ganzen Leben noch keinen Keks in den Tee getunkt.
„Guck, so“, setzte James hilfreich hinzu und warf sich einen weiteren Keks in die Tasse, ehe er den ersten mit den Fingern herausfischte. Stolz hielt er seinen Leckerbissen hoch, wobei die Hälfte des Kekses wieder zurück in den Tee fiel. Georgiana verzog das Gesicht, und James lachte.
Isabel schlang die Arme um sich und lehnte sich an die Wand. Ihr kleiner Bruder mochte nun der Earl sein, aber sie war noch nicht bereit, ihn an seinen Titel zu verlieren.
„Ob die Männer eben auch auf der Schule waren?“ James’ Stimme war voller Neugier.
„Oh, bestimmt“, meinte Georgiana. „Sie scheinen vornehme Gentlemen zu sein. Und vornehme Gentlemen gehen zur Schule.“
Es folgte längeres Schweigen, in dem James über das Gehörte nachzugrübeln schien.
„Ich habe auch einen schlauen Bruder“, fügte Georgiana so leise hinzu, dass Isabel sich etwas näher zur Tür neigen musste.
„Und? Muss der auch zur Schule gehen?“
„Er ist zur Schule gegangen, um noch schlauer zu werden. Jetzt ist er einer der klügsten Männer Englands.“
Und einer der mächtigsten, fügte Isabel still hinzu.
„Dann haben Sie bestimmt alles von ihm gelernt“, stellte James nüchtern fest. „Woher sollte eine Frau sonst Latein können?“
„Also, ich muss doch sehr bitten, Lord Reddich“, gab Georgiana sich pikiert. „Frauen können so allerhand – nicht nur Latein.“
Isabel konnte es sich nicht verkneifen, noch einen Blick zu wagen. James hatte die Nase gekraust und schien nicht so recht überzeugt. „Also, ich kenne keine Frau, die so schlau ist wie Sie.“
Isabel konnte nur staunen, als sie ihren Bruder so voll der Bewunderung hörte. Wenn er derart
Weitere Kostenlose Bücher