Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Gouvernante – es gibt keinen Grund, warum unsere Gäste Sie zu Gesicht bekommen sollten.“
„Aber was will er hier, in Yorkshire?“
„Das weiß ich nicht. Wenn man ihm glauben kann, ist er rein zufällig hier, in der Sommerfrische.“ Sie spürte, dass die Furcht des Mädchens keineswegs besänftigt war. „Hier sind Sie sicher. Sie stehen unter dem Schutz des Earl of Townsend.“
Weit her wäre es damit im Ernstfall wohl kaum .
Isabel brachte die kleine, bange Stimme in ihrem Kopf zum Verstummen.
Sie waren sicher. Dafür würde sie schon sorgen.
Schweigend sann Georgiana über Isabels Worte nach. Schließlich nickte sie – zum Zeichen des Vertrauens, das sie in Isabel – in Minerva House – setzte.
„Gut.“ Isabel goss ihnen Tee nach, ehe sie behutsam hinzufügte: „Sie wissen, dass Sie bei mir ein offenes Ohr finden, wann immer Sie über die Gründe reden wollen, die Sie nach Minerva House geführt haben.“
Wieder nickte Georgiana. „Ich weiß. Aber ich … ich … Was, wenn …“
„Wenn Sie bereit sind, Georgiana, werde ich für Sie da sein.“ Isabels Worte waren schlicht und direkt. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, dass dies der beste Weg war, den jungen Frauen ihre Furcht zu nehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Ob Herzogschwester oder Schankmädchen aus Cheapside, das machte gar keinen so großen Unterschied. Im Grunde waren die Mädchen sich ganz ähnlich.
Und unterschieden sich gar nicht so sehr von ihr selbst.
Hätte sie eine andere Wahl gehabt, hätte sie Lord Nicholas St. John niemals ins Haus gelassen.
Aber die Alternative wäre gewesen, Georgiana und die anderen Mädchen vor die Tür zu setzen und Minerva House aufzugeben, was natürlich ganz undenkbar war. Und so war Isabel ein, wie sie hoffte, wohlkalkuliertes Risiko eingegangen.
Lord Nicholas.
Isabel war sich bewusst, dass es nicht der Ironie entbehrte, das Schicksal dieser Frauen in die Hände eines so gefährlich faszinierenden Mannes zu legen. Doch wenn sie sich Georgiana anschaute, wie sie dasaß, blass, verängstigt und ihrer Zukunft ungewiss, die Hände um ihre Tasse gelegt, den Blick starr darauf gerichtet, fühlte Isabel sich darin bestärkt, dass er ihre größte, wenn nicht gar einzige Hoffnung für Minerva House verkörperte.
Sie musste nur dafür sorgen, dass Lord Nicholas immer schön oben bei den Skulpturen blieb.
So schwer konnte das ja nicht sein.
Am darauffolgenden Nachmittag war Isabel sehr stolz auf sich.
Ihre Sorgen wegen Lord Nicholas waren ganz umsonst gewesen.
Er machte überhaupt keine Probleme.
Als er und Mr Durukhan sich am Morgen eingefunden hatten, waren sie sogleich von ihr in den Skulpturensaal geführt worden. Nachdem Isabel noch strikte Anweisung gegeben hatte, dass die beiden nicht gestört werden dürften, war es ihr gelungen, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Oder vielmehr: sich vor ihnen zu verstecken.
Unsinn . Isabel schüttelte den Gedanken ab. Es hatte seinen guten Grund, dass sie wieder auf dem Dach war. Immerhin leckte das Dach noch immer. Und betrachtete man die dunkle Wolkenwand, die von Osten heraufzog, dürften ihre Anstrengungen sich spätestens heute Abend als sehr willkommen erweisen.
Weshalb sie und Jane mal wieder in Hosen und Hemdsärmeln auf dem Dach knieten und vorsichtig eine übel riechende Teerpaste an der Unterseite der Ziegel aufbrachten, die sich überall von den Sparren gelöst hatten. Sieben Jahre war es nun her, dass die ersten Dienstboten Townsend Park verlassen hatten. Zuerst waren jene gegangen, die über handwerkliches Geschick und Fähigkeiten verfügten, die auf den anderen Anwesen der Grafschaft gefragt waren. Mit ihnen waren auch alle Kenntnisse und Fertigkeiten verschwunden, welche sich auf einem in die Jahre gekommenen Landsitz als unerlässlich erwiesen.
Isabel seufzte schwer. Vermutlich sollte sie sich glücklich schätzen, dass das Haus all die Jahre ohne größere Instandsetzungen überstanden hatte. Und welch ein Segen, dass die Bibliothek von Townsend Park so reich an zweckdienlichen Titeln zu Architektur und Baukunde war. Der praktische Dachdecker mochte nicht unbedingt die bevorzugte Lektüre junger Damen sein, aber was tat man nicht alles, um den Nachttopf vom Fußende seines Bettes entfernen zu können, wo er derzeit den beharrlich durch die Decke tropfenden Regen auffing.
„Willst du mir erzählen, was gestern passiert ist, dass du dich jetzt vor Lord Nicholas verstecken musst?“
Jane hatte noch nie um den heißen Brei
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