Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
zustimmend nickte, meinte sie: „Das überrascht mich, gelinde gesagt. Kaum vorstellbar, dass mein Vater eine ganze Kiste ausgezeichneten Cognacs im Keller hat verkommen lassen, wo er doch in seinem Bauch viel besser aufgehoben gewesen wäre.“ Sie beugte sich wieder über den Tisch. „Wirklich beeindruckend, Lord Nicholas, wie viel Sie an einem einzigen Nachmittag geschafft haben.“
Sein Glas in der Hand, trat Nick zu ihr. „Und ich kann es kaum erwarten weiterzumachen. Sowie es morgen früh hell wird, mache ich mich wieder an die Arbeit.“ Er hielt inne, betrachtete sie einen Moment, ehe er das Gespräch erneut auf ihren Vater brachte. „Wie ist Ihr Vater an eine Kiste französischen Cognacs gekommen?“
Isabel betrachtete das Glas in seiner Hand, den bernsteinfarbenen Weinbrand, seine gebräunten Finger, die sich um das Glas schlossen. Sie konnte sich noch sehr genau an die Reise erinnern, von der ihr Vater die Kiste mitgebracht hatte. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie ihn gesehen hatte. Er hatte ihr eine Saison in London versprochen, und sie hatte geglaubt, er hätte sich verändert – bis sie von seinen Plänen erfuhr, sie mit dem Mann zu verheiraten, der das höchste Gebot auf sie abgab.
Sie war zu ihrer Mutter gegangen, hatte sie um Hilfe gebeten. Hatte sie angefleht, ihr zur Seite zu stehen. Doch ihre Mutter hatte ihr in dem verzweifelten Versuch, die Liebe ihres Mannes zurückzugewinnen, jede Hilfe verweigert. Hatte sie selbstsüchtig genannt.
Binnen einer Woche war der Earl dann allein nach London gefahren. Vermutlich hatte er erkannt, dass mit einer halsstarrigen Tochter ohne Mitgift auf dem Heiratsmarkt ohnehin nicht viel zu holen wäre.
Er war nie zurückgekehrt.
Und ihre Mutter hatte ihr nie verziehen.
So war das gewesen. Aber das konnte sie Lord Nicholas wohl kaum erzählen.
Isabel schaffte es nicht, ihn anzusehen, und bemühte sich, ruhig zu klingen. „Schon vor langer Zeit habe ich gelernt, das Tun meines Vaters nicht zu hinterfragen. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Cognac auf ähnlich verschlungenen Wegen in dieses Haus gelangt ist wie so vieles andere auch.“
„Das klingt kompliziert“, sagte er so mitfühlend, dass sie fast die Fassung verloren hätte.
„Wir werden es wohl nie erfahren“, erwiderte sie knapp und wandte sich seinen Aufzeichnungen zu. Zerstreut ließ sie ihren Blick über die dicht beschriebenen Zeilen schweifen, als ein schwungvoll aufs Papier gesetztes „orgastisch“ sie zusammenzucken ließ.
Was, um alles in der Welt, schrieb er da?
Verstohlen neigte sie den Kopf, um besser lesen zu können.
„Lady Isabel?“, fragte er belustigt.
Mit ihrem strahlendsten Lächeln sah sie ihn an, versuchte ihre glühenden Wangen zu vergessen und begegnete Nicks amüsiertem, selbstzufriedenem Blick. Er wusste genau, was sie gerade gelesen hatte, dieser schreckliche Mann!
Was glaubte er eigentlich, wer er war?
Dieser verruchte Mann.
Nun, das konnte er haben. Sie würde sich nicht so leicht unterkriegen lassen.
„Aber bitte, Sie müssen doch nicht meinetwegen stehen. Wollen wir uns nicht setzen?“ Sie deutete auf die Sesselgruppe, wo Rock vorhin sein Buch abgelegt hatte. „Haben Sie interessante Lektüre gefunden, um sich den unwirtlichen Abend zu vertreiben?“
Nun war es an Rock, verlegen zu lächeln. Hastig griff er nach dem Buch und bedeckte den Titel mit seinen riesigen Händen, bevor sie einen Blick darauf werfen konnte. „Allerdings, das habe ich.“
Gespannt sah Isabel ihn an. „Ah. Und was, wenn ich fragen darf?“
Sie meinte Nick leise lachen zu hören, doch als sie sich nach ihm umdrehte, hob er nur mit ausdruckloser Miene sein Glas an die Lippen.
Weshalb sie wieder Rock anschaute, der Nick mit einem vernichtenden Blick bedachte.
Was war denn hier los? Eigentlich hatte sie nur das Thema wechseln und vom zweifelhaften Tun ihres Vaters ablenken wollen. War Rock etwa rot geworden?
„Rock?“, fragte sie nach.
„Das Schloss von Otranto.“
Nun musste auch Isabel lachen – sie konnte einfach nicht anders. Die Mädchen liebten diesen Schauerroman, die haarsträubende Geschichte eines tyrannischen Herrschers und eines empfindsamen Helden, düsterer Prophezeiungen und erzwungener Heiraten. Nicht gerade die Sorte Buch, das man in den Händen eines stattlichen Riesen erwarten würde.
„Das darfst du nicht persönlich nehmen, Rock“, bemerkte Nick trocken. „Lady Isabel würde wohl über jeden lachen, der solchen Schund
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