Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
liest.“
„Nein!“, rief Isabel. „So war das nicht gemeint.“
„Schon gut“, beschwichtigte Rock. „Hören Sie gar nicht auf ihn. Mir gefällt es. Es ist eine spannende Geschichte.“
Jetzt lachte Nick schon wieder! Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu und versuchte, das Missverständnis aus der Welt zu schaffen. „In der Tat! Als die anderen es gelesen haben …“ Rock horchte auf, und sie verbesserte sich hastig: „Mit den anderen meine ich Lara und unsere … Freunde … aus dem Dorf. Ihnen hat es sehr gut gefallen.“
„Und Ihnen, Mylady?“, versuchte Rock ihr über ihre Verlegenheit hinwegzuhelfen.
„Oh, ich habe es nicht gelesen. Zumindest nicht ganz.“
„Sie haben mittendrin aufgehört?“
Isabel schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe gar nicht erst angefangen. Das Ende hat mir nicht zugesagt.“
„Das Ende?“, kam es von Nick.
Isabel nickte. „Ich lese immer zuerst das Ende.“
Rock hob die Brauen. „Warum das denn?“
„Ich weiß gern vorher, worauf ich mich einlasse“, meinte sie achselzuckend.
Nick lachte, und als sie sich nach ihm umdrehte, blickte sie direkt in seine strahlenden Augen. Lachte er über sie? „Das scheint Sie zu amüsieren, Lord Nicholas.“
„Allerdings, das tut es, Lady Isabel.“
„Weshalb?“
„Weil es einiges erklärt.“
Was soll das denn heißen?
Isabel widerstand dem Impuls nachzufragen und widmete sich stattdessen wieder ihrem anderen, weitaus liebenswürdigeren Gast. Sie zeigte Lord Nicholas die kalte Schulter und begann im Regal nach einem ganz bestimmten Buch zu suchen.
„Wir haben auch noch Die geheimnisvolle Mutter . Ich suche es Ihnen gleich heraus!“
„Lady Isabel“, sagte Rock belustigt. „Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber für heute Abend bin ich mit diesem hier bestens bedient.“
„Oh“, sagte sie und strich über ihre Röcke. „Gut. Aber wenn Sie es morgen lesen möchten, leihe ich es Ihnen gern.“
Rock verneigte sich höflich. „Ich danke Ihnen. Doch wenn Sie mich nun entschuldigen würden – ich werde mich zurückziehen, um weiter die Geschicke von Otranto und seinem glücklosen Sohn zu verfolgen.“
Ungläubig sah Isabel ihn zur Tür gehen. Er wollte doch nicht etwa … Doch! Er würde sie mit Nick allein lassen! Das war ihre gerechte Strafe. Nie wieder würde sie sich über den Schauerroman lustig machen. Nie, nie wieder. Wenn Rock doch nur bleiben wollte!
Doch die Götter hatten kein Einsehen. Ihnen schien der gute Ruf des Schauerromans völlig gleichgültig.
„Aber warum lesen Sie denn nicht hier?“, unternahm sie einen letzten verzweifelten Versuch. „Hier haben Sie doch viel besseres Licht. Und wir könnten … uns über die Lektüre austauschen!“
„Zumindest über das Ende“, ließ Nick sich vernehmen. Isabel hätte ihm am liebsten ein Buch um die Ohren gehauen. Ein richtig großes.
Rock lächelte. „Darauf würde ich gern zurückkommen, Mylady. Vielleicht morgen?“
Weiter konnte sie ihn nicht drängen, ohne sich Lord Nicholas gegenüber absolut unhöflich zu zeigen – und unnötig Aufmerksamkeit auf die Anspannung zu lenken, die sich zwischen ihnen aufbaute. „Natürlich“, brachte sie halbherzig hervor. „Gern morgen.“
Als die Tür sich hinter Rock geschlossen hatte, schien es ihr auf einmal viel wärmer, stickiger in der Bibliothek. Plötzlich war ihr deutlich bewusst, dass sie mit Nick allein war. Zitternd holte sie Luft und drehte sich zu ihm um, ohne zu wissen, was nun geschehen würde.
Er nahm das Glas, das sie vorhin abgelehnt hatte, und kam zu ihr, pirschte sich wie eine Raubkatze an. Sie begegnete seinem Blick, dem strahlenden Blau seiner Augen. „Ich sollte auch gehen“, sagte sie. „Ich habe sie schon lang genug von der Arbeit abgehalten.“
Nick hielt inne. „Allerdings, das haben Sie. Aber nicht im Traum fiele es mir ein, Sie aus Ihrer eigenen Bibliothek zu vertreiben. Warum setzen wir uns nicht und reden ein wenig?“
Sie wich zurück und spürte, wie ihre Röcke an einen der Sessel stießen. „Reden?“
Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich beherrsche durchaus die Kunst der Konversation, Isabel. So sagt man zumindest.“
Wenn er so nah war, konnte sie sich kaum auf seine Worte konzentrieren.
Sie ließ sich in den Sessel sinken und nahm das Glas, das er ihr reichte.
„So“, sagte er und setzte sich ihr gegenüber hin. „Und nun verraten Sie mir Ihre Geheimnisse.“
9. KAPITEL
Dritte Lektion
Scheuen Sie sich nicht, Ihren Lord
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