Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
sie gewollt, heute Nachmittag.
Und jetzt, da er sie noch weniger verstand als zuvor, wollte er sie nur noch mehr.
Er knirschte mit den Zähnen.
Ein Drink wäre jetzt wirklich nicht zu verachten .
Abrupt wandte er sich vom Fenster, schüttelte sein nasses Haar, ging zum Kabinett und riss eine Tür nach der anderen auf. „Es muss in diesem Haus doch was zu trinken geben!“
„Dir ist hoffentlich klar, dass du es schon wieder tust.“
Nick fuhr zu Rock herum. „Tut mir leid, ich kann dir nicht folgen.“
Sein Freund lächelte trocken und wandte sich wieder seinem Buch zu. „Natürlich nicht.“
„Was soll das denn heißen?“, schnaubte Nick.
Rock sah nicht auf. „Seit ich dich kenne, bist du leichte Beute für undurchschaubare Frauen. Insbesondere dann, wenn die undurchschaubare Frau noch dazu in Bedrängnis scheint. Oder willst du das abstreiten?“ Da Nick schwieg, fuhr Rock fort. „Weißt du noch, wie ich dich aus dem türkischen Gefängnis befreit habe? Du konntest dich kaum rühren vor Schlägen – und alles nur wegen dieses arglistigen Weibes. Aber du bist unverbesserlich. Noch immer willst du jede retten, von der du meinst, sie trage ein schweres Los. Und dürfte ich dich daran erinnern, dass wir nur deshalb in Yorkshire sind, um ein Mädchen zu finden, dem du noch kein einziges Mal begegnet bist? Dass wir hier festsitzen und endlich mal Zeit zum Lesen haben, hat natürlich überhaupt nichts mit deinem fehlgeleiteten Pflichtgefühl jeder x-beliebigen Frau gegenüber zu tun.“
Nick starrte finster vor sich hin. „Wenn es so weiterregnet, können wir bald ein Boot bauen. Hast du mir nicht eben erklärt, dass wir gegen die Natur machtlos sind? Für das Wetter kann ich nichts.“
Sein Freund warf ihm einen dunklen Blick zu. „Das wohl nicht, Nick. Aber würden wir überhaupt hier sitzen, wenn Lady Isabel ein Lord Townsend wäre?“
Gute Frage.
Als Rock schweigend umblätterte, nahm Nick seine Suche wieder auf. Wählerisch war er mittlerweile nicht mehr. Er würde trinken, was immer sich fand.
Normalerweise wäre ihm ein solcher Abend zupassgekommen: schlechtes Wetter, das es einem unmöglich machte auszugehen, sehen und gesehen zu werden, die üblichen Banalitäten des ton .
Nicht so heute. Nicht, solange er unter diesem Dach wohnte. Unter ihrem Dach.
Nicht, wenn der Regen ihn einzig an tropfnasse rotbraune Locken denken ließ, ein durchnässtes Hemd, unter dem sich liebliche Brüste wölbten …
Kurz und freudlos lachte er auf. Er saß in einem fremden Haus fest, in einer fremden Bibliothek, mit Rock und seinen Aufzeichnungen über eine orgastische römische Statue. Es gelüstete ihn nach der befremdlichsten Frau, der er jemals begegnet war – und die Herrin des befremdlichsten Hauses war, das er jemals betreten hatte.
Und das alles sollte er ohne einen Drink ertragen.
Die Welt schien sich gegen ihn verschworen zu haben.
Er hielt es nicht länger hier aus.
Als er sich auf dem Absatz umdrehte und zur Tür eilte, sah Rock überrascht auf.
„Wo willst du hin?“
„In den Skulpturensaal. Hier kann ich mich nicht konzentrieren.“
„Ah.“
Nick warf seinem Freund einen finsteren Blick zu. „Wolltest du etwas sagen, Rock?“
Rock grinste. „Keineswegs. Es amüsiert mich nur, dass wir vor Horden lüsterner Frauen aus London geflüchtet und dann ausgerechnet hier gelandet sind – inmitten einer Schar weitaus gefährlicherer Damen.“
„Nun übertreib mal nicht. Die sind harmlos.“
„Sind sie das?“
Die scheinbar beiläufige Frage echauffierte ihn. Ein einziger Tag in diesem Haus, und Nick hätte sich am liebsten geprügelt. „Ich gehe wieder an die Arbeit.“
Mit zwei Schritten war er bei der Tür und fest entschlossen, Isabel aus seinen Gedanken zu verbannen.
Was ihm wohl auch gelungen wäre, hätte sie nicht draußen im Flur gestanden.
Doch da stand sie, mit dem Rücken zu ihm, wie erstarrt. Ihre wirbelnden Röcke verrieten, dass sein plötzliches Auftauchen sie erschreckt haben musste. Apropos Röcke: Nick fand ihre Kleider gelinde gesagt enttäuschend – durchaus feminin, aber viel zu gediegen für die mutige, aufregende Frau, als die er sie mittlerweile kannte. Schwarz war das Kleid, so schwarz, dass er sie im Dunkel des Flurs wohl übersehen hätte, wären nicht all seine Sinne so sehr auf sie gerichtet gewesen.
Nach einer Weile wurde die Spannung zwischen ihnen unerträglich, und sie wandte leicht den Kopf. Der warme Lichtschein aus der Bibliothek fing den
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