Auf zwei Planeten
Fru war bei der Drehung des Fernrohrs nach Westen abgewichen. Wieder erblickte man den schmalen Streifen eines tief eingeschnittenen Tales, und dahinter erschien eine herrliche Berggruppe, alle Gipfel mit glänzendem Weiß bedeckt.
»Was ist denn das«, rief Saltner, »da sind wir von der Richtung abgekommen. Das ist der Ortler! Nun müssen Sie wieder nach Osten drehen – so – immer weiter! Sehen Sie, immer an diesem Streifen hin, das ist nämlich das Etschtal, und jetzt können Sie gerad hineinschauen, hier schwenkt es nach Südost ab. Noch immer weiter, bis es ganz nach Süden geht – da – da schaun Sie hin – ah, wie schade, aus dem Tal steigt die Luft so unruhig in die Höhe, aber die Etsch können Sie durchschimmern sehn. Und jetzt, ganz langsam, noch ein bißchen, hier, die Berge am linken Ufer, hier ist’s wieder klar – nun bitte, halt!«
Er beugte sich ganz dicht vor, daß der Schatten seines Kopfes auf die Wand fiel und die andern nicht mehr gut sehen konnten.
»Da, da ist’s«, rief er jubelnd, »ich kann’s deutlich erkennen. Das ist die alte Burg, links daneben liegt das Haus, mein Haus – Jesus Maria – ich kann’s wahrhaftig sehen, wie ein kleines, weißes Pünktchen! Da wohnt mein Mutterl.«
Jetzt beugte auch La sich vor.
»Wo?« fragte sie.
Mit der Spitze einer Nadel bezeichnete Saltner den Punkt.
Ihre Köpfe berührten sich. Lange betrachtete La die Gegend, als wollte sie sich jede Einzelheit einprägen. Saltner trat beiseite.
»Ich hab nun genug geschaut, mir tun die Augen weh«, sagte er und zog sich auf einen der Stühle zurück. Er bedeckte die Augen mit der Hand und saß schweigend. La setzte sich neben ihn und drückte leise seine Linke.
Nach längerer Pause, während deren Fru die Schattengrenze der Erde betrachten ließ, die jetzt schon bis an den Ural vorgerückt war, sagte La zu Saltner: »Du möchtest wohl jetzt den Mars nicht mehr sehen?«
»Warum nicht?« entgegnete Saltner. »Ich will ihn auch liebgewinnen – aber du mußt verzeihen! Es ist ein bissen viel auf einmal, was jetzt durch meinen dummen Menschenverstand geht.«
»Ja, ihr armen Menschen«, sagte La, »es wird wohl noch ein Weilchen dauern, eh ich recht begreife, wie es in solchem Kopf aussieht. Die Heimat liebhaben und die Eltern und die Freunde, das ist gut. Und was gut ist, wie kann das traurig machen?«
»Wenn man es nicht hat –«
»Nicht hat? Wie kann man das nicht haben, was doch nur vom Willen abhängt? Wer kann dir die Treue nehmen, die du für recht hältst? Diese Liebe hast du doch, ob hier oder dort, weil du sie selbst bist.«
»Aber La, kennt ihr Nume die Sehnsucht nicht?«
»Die Sehnsucht? Siehst du, du törichter Lieber, was wirfst du doch durcheinander! Also bist du gar nicht gut aus reinem Willen, sondern dich treibt das Verlangen nach dem Besitz. Und aus diesem Widerstreit bist du traurig. Oh, was seid ihr für Wilde!«
»So würdest du dich nie nach mir sehnen?«
»Nach dir? Das ist doch ganz etwas anderes. Ich hab dich doch nicht lieb, weil es Pflicht ist, weil es gut ist, sondern lieb hab ich dich, weil es schön ist zu lieben und geliebt zu werden. Deine Nähe wünsche ich, wie ich den Ton des Liedes wünsche, um mich an seiner Schönheit zu erfreuen – aber nein, das ist auch noch nicht richtig, du könntest denken, das sei nur ein Mittel zur ästhetischen Lust – nein, so brauch ich deine Liebe und Nähe, wie der Künstler die eigne Seele braucht, um das Schöne zu schaffen. – Ach, ich komme mit eurer Sprache nicht zurecht. Ihr sprecht von Liebe in hundertfachem Sinn. Ihr liebt Gott und das Vaterland und die Eltern und die Kinder und die Gattin und die Geliebte und den Freund, ihr liebt das Gute und das Schöne und das Angenehme, ihr liebt euch selbst, und das sind doch absolut verschiedene Zustände des Gemüts, und immer habt ihr nur das eine Wort.«
»Ich will dich ja ohne alle Worte lieben, du kluge La –«
Sie blickte tief in seine Augen und sprach: »Wie nennt ihr das, was niemals wirklich ist, was man nur in der Phantasie sich vorstellt, und indem man es sich vorstellt, ist das Glück wirklich in uns? Wie nennt ihr das?«
Saltner zauderte mit der Antwort, und La fuhr fort: »Und das, was man wollen muß, ob es auch nicht glücklich macht, und was im Wollen erfreut, wenn es auch nicht wirklich wird, wie nennt ihr das?«
»Ich glaube«, erwiderte Saltner, »das erste nennen wir schön , und das zweite gut .«
»Und wenn ihr eine Frau liebt, rechnet ihr das
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