Aufbrach aus der nacht (Liebesromane) (Tagebücher der Dunkelheit: Band 3) (German Edition)
Richtung und das grüngelbe Licht beleuchtete ihn ganz deutlich.
Als sie sein Gesicht sah, war ihre erste Reaktion sich mit einem Rückwärtssatz in Sicherheit zu bringen. Der Magen sackte ihr wie ein Stein runter und ihr Herz setzte aus, fing dann wieder an zu schlagen, schneller und heftiger. Aber Zoë widerstand dem Drang sich zu verstecken. Er konnte sie nicht sehen. Und sie war auch nicht mehr fünfzehn und die Angst hielt sie auch nicht mehr so fest umkrallt, dass sie nicht mehr denken konnte.
Nun, sie hatte immer noch große Angst. Panische Angst.
Aber es war er. Endlich. Endlich.
Sie hatte Angst, aber sie war vorbereitet. Der fein gearbeitete Bogen aus Weidenholz fühlte sich fest und tröstlich an in ihrer Hand und das Gewicht ihres Köchers hinten an ihrem Rücken wirkte beruhigend.
Mit der schmutzigen Wand unter ihren Händen beobachtete Zoë, wie er mit den Ganga zu reden schien. Der Mann sah aus wie etwa fünfzig. Das Licht, das an seinem weißblondem Haar klebte, ließ seine hohen Wangenknochen hager und die Wangen hohl aussehen. Sie erinnerte sich an diese Eigenschaft von ihm: dass das Licht aus seinem Gesicht einen Totenschädel machte.
Er sah nicht anders aus als vor zehn Jahren.
Raul Marck. Der Mann, der ihr alles genommen hatte: ihr Zuhause, ihre Familie und ihre Freunde ... Sicherheit, Geborgenheit, Liebe. Der Mann, den sie seit zehn Jahren jagte, und nur einmal seit jener grauenvollen Nacht hatte sie ihn wieder gesehen.
Zoë nahm ihren Bogen in die andere Hand und griff unauffällig über ihre Schulter nach einem Pfeil. Der Puls raste ihr durch den Körper, füllte ihre Ohren mit seinen dumpfen Schlägen. Die Handflächen wurden ihr feucht, aber ihre Finger waren ruhig.
Die Ganga hörten gerade Raul zu, genau wie sie es vorher getan hatten. Sie mussten ihre Befehle ja von irgendjemandem bekommen; weiß der Himmel, sie waren nicht intelligent genug, um selber zu wissen, was sie tun sollten. Das war auch, woher sie wusste, dass – obwohl sie jede Nacht Jagd auf Ganga machte – die ganze beschissene Schuld auf Marck lastete. Er hatte den Befehl erteilt. Er hatte ihre Ansiedlung ausgewählt.
Er hatte ihre Familie getötet.
Sie schaute sich den anderen Mann an, der neben der Frau stand, und war nicht überrascht Ian zu erkennen, Rauls Sohn. Er sah seinem Vater sehr ähnlich, hatte die gleichen slawischen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen, dem kantigen Kinn und der hohen Stirn. Ians Haar war von einem dunkleren Blond und mit seinen dunklen, scharf geschwungenen Augenbrauen und dem breiten Mund könnte man ihn als gutaussehend bezeichnen – wenn ein Mädchen erst mal über die Tatsache hinwegkam, dass er ein blutrünstiger Kopfgeldjäger war.
Er war ein skrupelloser Scheißmistkerl, aber er war nicht die Zielscheibe ihres Hasses. Sie würde es Ian Marck vielleicht gestatten, noch mal einen Sonnenaufgang zu erleben.
Zoë wandte ihre Aufmerksamkeit der Frau zu, die neben Ian stand. Sie hatte noch nie zuvor eine weibliche Kopfgeldjägerin gesehen. Die Frau stand dicht vor Ian, etwa so hoch wie sein Kinn und vielleicht halb so breit wie er an den Schultern. Sie sah etwa so alt wie Zoë aus und hatte dunkles Haar. Selbst aus dieser Entfernung spürte Zoë die Starre und vielleicht auch Wut oder Verärgerung an ihr.
Als die drei sich dann bewegten und die Ganga sich von ihnen entfernten, begriff sie warum. Ian hielt ihr die Hände hinter dem Rücken fest. Sie war keine Kopfgeldjägerin, sondern eine Gefangene.
Oder – was wahrscheinlicher war – sie würde bald Ganga-Abendessen werden.
DREI
Als sie sich an das andere Ende des Gebäudes begab, wo sie hoffte einen Aussichtspunkt zu finden, der näher an ihrem Zielobjekt war, erwog Zoë ihre Optionen.
Mehr als alles andere wollte sie einen netten, kleinen Metallbolzen in den Schädel von dem Mann bohren, der damals die Ganga auf ihre Familie gehetzt hatte. Aber sie nahm an, wenn es ihr erst einmal gelungen war, Raul Marck zu töten, dass die Ganga dann nicht mehr von ihm kontrolliert wurden und sehr wahrscheinlich die Frau und Ian Marck angreifen würden. Zoë scherte sich einen Dreck um Ian, aber der Gedanke, die schutzlose Frau in Stücke reißen zu lassen, behagte ihr eher weniger.
Und wenn sie die Frau rettete, würde Zoë sie beide verflucht schnell von hier fortschaffen müssen. Und dann bestand vielleicht – aber vielleicht auch nicht – eine reelle Chance
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