Aufbruch der Barbaren
Wille.«
*
Es war wieder ein wolkenverhangener Morgen, düster, erfüllt von leichtem Schneetreiben und den Flüchen von zehntausend Lorvanern, dem Heulen der Wölfe in der Ferne und dem unheimlichen Heulen aus dem Wald jenseits der Hügel.
Sie kämpften sich durch tiefen Schnee voran, erst eine von Lellas Viererschaften, dann ein halbes Hundert von Urgats Quaren. In dieser ausgetretenen Spur, in der bereits wesentlich leichter zu reiten war, folgten Nottr und Urgat und Lellas zweite Viererschaft. Die Nachhut bildete eine weitere Hundertschaft von Urgats Kriegern.
Sie erreichten die Ausläufer des verdammten Waldes bereits nach einer guten Stunde. Die kleinen Vorhuttrupps, die Lella zur Beobachtung postiert hatte, konnten nichts Ungewöhnliches melden. Sie hatten keinerlei Bewegung am Waldrand beobachtet. Aber während des Sturmes kurz vor Tagesanbruch seien die Schreie der Riesen am heftigsten und furchterregendsten gewesen.
Urgat ließ seine Krieger in guter Sichtentfernung vom Waldrand lagern. Ein Dutzend postierte er direkt am Waldrand, um sie, wie er sagte, rasch zur Unterstützung heranrufen zu können. Nottr hatte mehr den Verdacht, daß ihm der Quare beweisen wollte, daß seine Krieger keine Memmen waren, die wegen ein paar Riesen zu zittern begannen. Aber den Kriegern waren ihr Unbehagen und ihre abergläubische Scheu deutlich genug ins Gesicht geschrieben. Nottr bezweifelte, daß sie die Stellung sehr lange halten würden, denn manchmal drang das Heulen so heftig zwischen den Stämmen hervor, als würden die Ungeheuer jeden Augenblick selbst erscheinen.
Lellas Krieger nahmen es gleichmütiger hin. Da sie schon in dem Wald gewesen waren, fühlten sie sich den anderen weit überlegen. Zudem waren sie mit heiler Haut davongekommen. Es würde auch ein zweitesmal gut gehen. Wenn sie das fruchtbare Tal wiederfanden, würden sie diesmal auch Zeit genug haben, Beute zu machen und sich den Bauch vollzuschlagen.
Sie ließen die Pferde zurück. Lella schritt mit ihrer persönlichen Viererschaft voran. Zwei Krieger und eine Kriegerin gehörten dazu. Dann folgte der Schamane, der zwischen Grauen und Neugier schwankte.
Hinter Nottr und Urgat folgte Lellas zweite Viererschaft.
Sobald die Bäume sie umschlossen hatten, war die Düsternis so stark, daß sie kaum ein Dutzend Stämme weit sahen, und die Bäume standen ungewöhnlich dicht. Die Schneedecke wechselte in diesem Mischwald. Sie war hoch, wo kahle Laubbäume vor Imrirrs Schergen wenig Schutz boten.
An einer solchen Stelle stießen sie nach kurzer Zeit auf einen Riesen.
Sein Geheule hatte einen Graben durch hüfthohe Schneewächten geblasen.
Lellas Viererschaft, die ihn zuerst erblickte, erstarrte fast vor Schreck. Und Juccru taumelte wie unter einem Windstoß im Atem des Riesen, dessen Schädel in der Tat gewaltig war. Keiner der Berichte hatte übertrieben.
Dieser Schädel war mehr als drei Männer hoch. Sein Kinn ruhte im Schnee. Sein Mund, von dunklen Farben umrahmt, war aufgerissen und zeigte Zähne von halber Mannhöhe und Schenkeldicke. Die Nüstern waren gebläht, die Augen weit offen und mit einer Grimmigkeit auf die Eindringlinge gerichtet, die ihnen die Knie schwach werden ließen, obwohl sie, mit Ausnahme des Schamanen, tapfere und erprobte Krieger waren.
Das Heulen aus dem offenen Rachen war so grauenvoll, daß den winzigen Menschen fast das Blut in den Adern gefror.
Selbst Nottr war in diesem Augenblick überzeugt, die Finsternis leibhaftig vor sich zu haben. Die Viererschaft hinter ihm hatte zurückzuweichen begonnen, und Nottr konnte den Schamanen auffangen, bevor er fiel.
»Zurück!« krächzte er und versuchte, sein krummes Schwert aus dem Mantel zu ziehen, wobei ihn der Schamane behinderte, der sein Gleichgewicht noch nicht gefunden hatte.
In diesem kritischen Augenblick, ehe sich die Gruppe halb von Sinnen vor Grauen zu Flucht wandte, ging eine merkliche Veränderung in Urgat vor.
Er rappelte sich plötzlich hoch und breitete die Arme aus und rief eindringlich:
»Halt! Lauft nicht weg! Bleibt stehen! Sie tun euch nichts! Die Fratzen tun euch nichts…!«
Zum Entsetzen aller taumelte er vorwärts durch den hohen Schnee direkt in das Heulen des Riesen. Lella versuchte sich ihm in den Weg zu stellen, wohl weil sie dachte, er hätte den Verstand verloren.
Aber er schüttelte sie ab und stapfte auf den dämonischen Schädel zu. Als er ihn erreicht hatte, berührte er ihn, was die anderen mit angehaltenem Atem beobachteten.
»Er
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