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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Christel und Karola waren schon fort. Ich musste mich beeilen.
    »Schau, die Sterne«, sagte ich zu Anke, die nur Augen hatte für die Paare, die sich auf den Bänken umschlangen. »Die Sterne. Sind sie nicht wunderschön?«
    Folgsam suchte Anke sekundenlang den Himmel ab, ehe sie wieder in den Park starrte, als könne sie ihren Armin aus der Dunkelheit ins Licht saugen. Dass er, Armin, sie so oft sein Sternchen, »mein Stern«, genannt habe, »mein Licht in der Finsternis«, brachte sie kaum hörbar heraus. Das könne doch nicht alles gelogen sein.
    »Nein«, tröstete ich wider besseres Wissen. »Bestimmt nicht.«
    Endlich kam Ankes Bus, und sie ließ meine Hand los, putzte sich die Nase und stieg ein.
    Ich drückte das weiße Kaninchen an meine Brust und verdoppelte meine Schritte, spürte die Kraft meiner Füße, die
Leichtigkeit in Waden und Schenkeln, Kopf hoch und höher, keine Liebe, kein Kummer, nur Abitur, zwei Leistungsbände auf dem Regal im Holzstall, dazu Schön sein - schön bleiben in der Tasche, und dann gingen die Schranken für den D-Zug Köln-Düsseldorf herunter, und ich konnte nicht mehr durchschlüpfen. Und die letzte Bahn fuhr ohne mich.
     
    Die Haltestelle lag direkt an der Straße nach Dondorf. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Autos hielten und zum Mitfahren einluden. Oft kamen die Fahrer, seltener Fahrerinnen, sogar von dort; ein-, zweimal hatte mich ein unbekanntes Pärchen mitgenommen. Nie wäre ich in einen Wagen gestiegen, in dem ein fremder Mann allein saß. Zu Hause durfte davon ohnehin niemand wissen. Streng verboten.
    Ich stand noch keine fünf Minuten an der Haltestelle, da bremste schon ein Auto neben mir, ein kleiner Laster, wie ihn Peter Bender fuhr. Das Fenster wurde heruntergekurbelt. Die Fahrerin streckte den Kopf aus dem Fenster und winkte. Ich ging auf sie zu, auf das treppenförmig gestufte, stumpfblonde Haar. Peter auf dem Beifahrersitz. Ob er mich auch erkannt hatte? Die Scheibe wurde wieder hochgekurbelt, Gas gegeben. Weg.
    Doch ich musste nicht einmal die Hand heben, als das nächste Auto hielt. Düsseldorfer Nummer. Hell, eckig, so, wie das Auto von Lukas, dem Diakon. Der Fahrer, wie er ein Mann in den frühen Zwanzigern, adretter Haarschnitt, Anzug und Krawatte. Langes Gesicht, zurückweichendes Kinn, ein schmaler kräftigroter Mund wie ein Schlänglein unter der Nase. Fragte, wohin es denn gehen solle, feinstes Hochdeutsch, eine dünne Silberbrille. Nicht zu erkennen die Augen hinter dem spiegelnden Glas. Auf dem Beifahrersitz eine Frau.
    »Dondorf«, sagte ich und trat dicht heran, wollte wissen, ob der Mann auch nüchtern sei. Er roch sauber, wie gebadet, aus seinem kurzgeschnittenen Haar, das ihm wie eine borstige Türmatte über der Stirn lag, stieg frischherber Duft.

    »Genau auf der Strecke«, sagte er aufgeräumt. Sein Atem rein wie seine Aussprache. Er stieg aus, sehr groß war er nicht, und öffnete mir die Tür, so, wie Godehard, Lukas und Dirk. Ich rutschte auf den Rücksitz. Die Frau neben dem Fahrer, älter als ich, älter als der Mann, trug eine rote Lederjacke, das spröde rötliche Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihre nackten Beine, schlanke, weißschimmernde Beine in roten, hochhackigen Schuhen, weit von sich gestreckt. Meinen Gruß erwiderte sie kaum, wandte sich vielmehr knurrig an den Fahrer: »Jetzt fahren Sie aber mal los! Mir wolle doch heut noch nach Möhlerath!« Ein seltsames Paar, schoss es mir durch den Kopf. Oder gar keines?
    Der Mann lehnte sich zurück und hielt mir eine Zigarettenpackung hin. Die Hand über der Kopfstütze war tadellos gepflegt, die Manschette scharf gebügelt.
    »Bedienen Sie sich, mein Fräulein.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mir eine anstecke?« Nicht einmal Dirk Anklamm hatte das jemals gefragt. »Bitte sehr«, hielt er der Frau auf dem Nebensitz die Packung entgegen und ließ mit einer kleinen Verbeugung sein Feuerzeug klicken, ein goldenes, jedenfalls keins von den billigen Plastikdingern. Er stellte sich als Harald Meyer vor, mit E-Ypsilon, was die Frau auf dem Nebensitz mit einem Grunzen quittierte, und blies den Rauch durch das offene Fenster in die warme Sommernacht. Wie rücksichtsvoll.
    Der Mann stellte das Radio an: »Junge Leute brauchen Liebe, ohne Liebe kann doch keiner leben. Nicht erst heute ist das so, das war so schon vor hundert Jahren«, warf die Zigarette aus dem Fenster und legte einen Arm über die Rückenlehne der Frau, murmelte,

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