Aufbruch - Roman
als er ihrem Nacken zu nahe kam: »Pardon«, nahm den Arm zurück und beugte sich zu ihr hinüber. »Mandolinen und Mondschein, in der südlichen Nacht.«
»Eine herrliche Nacht!« Herr Meyer schlug sachte auf das Lenkrad. »Finden Sie nicht auch?«
»Jo, et es wärm«, erwiderte die Frau und machte eine fächelnde Handbewegung. Sie wandte sich zu mir um und verzog
den Mund zu einem Lächeln. Ich lächelte verlegen zurück. »Mit siebzehn hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume in den Himmel der Liebe.« Selbst für meinen Geschmack, ich hasse Raserei, hätte der Mann ruhig etwas mehr Gas geben können. Sehr viel später als die letzte Bahn durfte ich zu Hause nicht ankommen. Ein Riesentheater hatte es gegeben, als ich einmal per Anhalter nach Hause gefahren war.
Wir waren schon fast hinter dem Krawatter Busch, als zwei winkende Gestalten aus der Dunkelheit auftauchten. Sanft trat der Fahrer auf die Bremse, wirklich, er war ein umsichtiger Fahrer.
»Nit schon widder«, murrte die Frau auf dem Beifahrersitz. »Mir sind doch voll.«
Der Mann knurrte und blickte mich über die Schulter an. Seine Augen hinter der Brille waren ohne jeden Ausdruck. »Was meinen Sie? Können wir ein bisschen zusammenrücken?« Doch die beiden Gestalten hatten die Türen rechts und links schon aufgerissen und mich in die Mitte genommen. »Warum strahlen heut Nacht die Sterne so hell, die Luft ist so mild, mein Herz schlägt so schnell.« Ich roch es, noch ehe sie sich breitmachten, eine Wolke billigen Fusels drängte sich mit ihnen in das Auto, da half auch das offene Fenster nicht. Herr Meyer drehte das Radio lauter. »Ich sag dir’s: Nur weil du bei mir bist«, schwärmte eine dunkle Männerstimme.
»Hören Sie, Herr Meyer«, sagte ich. »Glauben Sie wirklich …« Weiter kam ich nicht.
»Schnauze«, knurrte der zu meiner Linken, von dem ich nichts als feiste Oberschenkel in Cordhosen erkennen konnte, Schenkel, die er spreizte, gegen die meinen presste. »Warum find ich die Welt so schön wie noch nie?«, sang es aus dem Autoradio.
»Wolln doch mal sehen, ob wir nicht ein bisschen Spaß haben können, heute Nacht«, ergänzte der zu meiner Rechten, fett, in schwarzen Hosen, sein rotes Hemd spannte.
»Uns beiden erklingt die Glücksmelodie …«, versprach der Sänger.
»Herr Meyer!«, rief ich. »Hören Sie denn nicht! Tun Sie doch was!«
Herr Meyer tat auch was, bog von der Straße auf einen Waldweg, mitten hinein in den Krawatter Busch. »Nur weil du zärtlich mich küsst.« Der Wagen ruckelte auf dem unebenen Boden, Hände griffen nach meinen Brüsten, zwischen die Beine, ich schrie, ich strampelte, schlug um mich, der Rechte ließ von mir ab, packte von hinten die Frau auf dem Vordersitz, als die gerade die Tür aufreißen wollte, verdrehte ihr die Arme hinter die Lehne, die Frau schrie, ich schrie, »Hilfe«, schrien wir, in den Wald, aus dem Wagen, aber der Wagen, der rollt, »Warum strahlen heut Nacht die Sterne so hell?«, das Auto stand still. »Die Luft ist so mild, mein Herz schlägt so schnell.« Glattes, rundes Glas, ein Flaschenhals zwängte sich mir zwischen die Lippen, schlug an die Zähne, eine Hand hielt mir die Nase zu, es war das Letzte, was ich sah, die gepflegte Hand, die reine Manschette. Und die Augen sah ich, jetzt ohne Brille, blass, blutdurchschossen, gehetzt. Ich schluckte und spie, rang nach Luft, »Vorsicht, das Kleid«, hörte ich die vornehme Stimme, etwas zwang sich mir auf die Nase, ich spürte, wie ich erschlaffte, Hände auf mir überall, mein Mund weit offen, ich schluckte nicht mehr, der Alkohol rann die Kehle hinunter, »Nää«, hörte ich den Schrei der Frau, so hatte der Großvater geschrien, bevor ihn der Krebs aus dem Leben fraß, dann hörte, dann sah ich nichts mehr. Ich schmeckte, roch und fühlte nichts mehr.
Ein Vogel schrie, und ich spürte einen kühlen Luftzug an meinen Füßen, die Beine hinauf, Schoß und Bauch, ich schauderte, aber begriff nichts. Mein Körper so schwer, der Kopf, die Hände, die Arme, Beine, der Leib, ein Block, der sich nicht bewegen wollte. Im grünen Zwielicht des Morgens sah ich mich von oben wie aus weiter Ferne auf einer Wiese liegen, ein weißer gekrümmter Rücken, sah mich wie eine Erfindung,
eine Inszenierung, wäre gern in diese Erfindung versunken, Ich-Erfindung, die man zuklappen und wegstellen kann wie ein Buch. Und musste doch wieder zu mir kommen. Ich bewegte die Zehen, die Füße, die Beine, fühlte Gras, Nässe,
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