Aufbruch - Roman
wollte, ging aus ihrem flackernden Schein ins abendliche Zwielicht, dorthin, wo hinterm Park das Wildgehege begann.
Zur Verlosung kamen alle mit ihren Treffern wieder in den Saal, und nicht nur die; neugierig, wer das Tonbandgerät schließlich mitnehmen durfte, waren die meisten. Brausepulver spielte einen Tusch, und Rolf hörte endlich auf, mir die Verrücktheit der Quantenmechanik am Beispiel von Schrödingers Katze auseinanderzusetzen, völlig vergeblich, wie er wohl wusste, doch er hatte sich an der Vorstellung dieses gleichzeitig toten und lebendigen Tiers nun einmal festgebissen.
Alle fünfhundert Lose seien verkauft, jubelte der Kaplan, schwenkte einen Zylinder: »Und hier«, er reckte sich und den Zylinder noch höher, »hier halte ich das Glück in der Hand. In Gottes Hand!« Ein weiterer Tusch. Der Kaplan senkte die mit Losen gefüllte Kopfbedeckung, hielt sie dem Nächstbesten in der Runde auffordernd hin: Es war Maria, die ihre zerzauste Turmfrisur dem Glück zuneigte, zugriff, dem Kaplan hinhielt, der, einen schlappen blau-weißen Wasserball vom Gabentisch ergreifend, »vierzehn«, von dem Zettelchen ablas, die Zahl wie einen Segen in die Halle schmetternd. Ein pummeliges Mädchen im rot-weißen Pünktchenkleid nahm das labbrige Ding ohne Begeisterung entgegen, und auch die nächsten Gewinne riefen wenig Beifall hervor. Doch der Kaplan wusste es spannend zu machen. Während einer von uns in den Zylinder griff, wählte er
ein Ding vom Tisch; viele Bücher waren darunter, ich liebäugelte mit Schön sein - schön bleiben ; ein Buch, das ich niemals kaufen, aber gerne haben würde, zweiunddreißigste Auflage hatte ich gelesen, gut vierhunderttausend Frauen und Mädchen wussten, wie man schön ist und bleibt, wussten »welche ausschlaggebende Rolle das äußere Erscheinungsbild und die Sicherheit des Auftretens im Leben einer Frau spielten. Fast immer entscheiden gerade sie über beruflichen Erfolg und gesellschaftliche Stellung, also ist es für viele Frauen geradezu eine Existenzgrundfrage, über sich und die tausenderlei kleinen Kniffe Bescheid zu wissen, die die Mitmenschen bezaubern und ihren Weg zu einem freundlicheren, ja, glücklicheren Leben ebnen. Ihren eigenen wohlverwahrenden Schatz reizender Geheimnisse will Ihnen das vorliegende Buch in einer Reihe von Erfahrungen und kleinen Tipps bereichern.« Könnte jedenfalls nicht schaden.
Das Buch gelangte aber in die Hände eines pickligen Stoppelkopfs, der sich mit seinen Kumpanen kichernd darüber hermachte. Ich behielt das Buch im Auge, und als die Jungs es schließlich liegen ließen, schob ich es in meine Tasche.
Inzwischen hatte sich der Tombolatisch bis auf ein paar Plüschtiere, eine LP und das Tonbandgerät geleert. Rolf griff in den Zylinder, der Kaplan nach hinten. »Sieben«, rief er, und ich bekam ein weißes Kaninchen in die Hände gedrückt. Ich schmeichelte das Tierchen Doris unter die Nase. Sie nahm es kaum wahr, lehnte selbstvergessen an Clas, der, zumindest für diesen Abend, ihren Robert in den Schatten stellte. Und dann klemmte sich dieser gottlose Bengel auch noch den Hauptgewinn der katholischen Landjugend unter den Arm. Zog mit Doris und Tonband unter Tusch und Marsch aus der Halle, das Fest ging weiter, die Stimmung stieg, ich folgte dem glücklichen Paar, selig hing Doris, die mir mit der ringlosen Linken übermütig zuwinkte, am Arm von Clas, der, wenn er zuvor gestrahlt hatte, nun loderte. Ich sah ihnen nach, wie sie durch das Spalier der Pechfackeln schritten und Richtung Wildgehege verschwanden.
Maria, Christel und Karola riefen und winkten; sie wollten gehen, die letzte Bahn.
»Wartet«, rief ich. »Noch schnell mal ›für Damen‹. Ich komm gleich.«
Ich trocknete mir eben die Hände, als Anke hereinstürzte, außer sich. Armin, brachte ich aus der Schluchzenden heraus, Armin war weg. Und nicht allein. Eine alte Flamme von seiner Lehrstelle habe er wiedergetroffen. »Sogar vorgestellt hat er sie mir«, wimmerte Anke. »Das Biest. Der Schuft.«
Es stimmte. Ich hatte Armin mit einer dünnen, langbeinigen Person tanzen sehen, und später hatten sie Kartoffelsalat und Frikadellen gegessen.
»Was ist denn schon dabei«, suchte ich Anke zu trösten, »Tanzen und Frikadellen.«
»Aber er ist weg, verschwunden.«
Ich schaute auf die Uhr: »Du, ich muss.«
Anke umklammerte mich: »Geh nicht weg, bitte!«
Ich machte mich los: »Komm, ich bring dich zum Bus, wir haben ein Stück weit ja denselben Weg.«
Maria,
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