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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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wollte nicht Ja sagen. Aber Nein sagen auch nicht. Nur weg.
    Bis Großenfeld hatten Lukas und ich denselben Weg. Beredsamkeit schien ein Erbteil der Keukens zu sein. Wie Godehard hatte auch Lukas eine angenehme Stimme und da er nicht von Erdzeitaltern und Gesteinsformationen, von prismatischen Natrolithen, rhombischen Kristallen, dicktafeligem Zinnober sprach, sondern vom Alltag in seiner Pfarrei, hörte ich ihm auch wirklich zu. Wir fuhren zügig und doch: Die letzte Bahn war weg. An der Haltestelle ein Mädchen, etwa in meinem Alter, reckte uns aufgeregt den Daumen entgegen: nach Dondorf. Nie, niemals, erklärte es erleichtert, werde es jemals in ein Auto steigen, in dem nur ein Mann sei. Wir setzten sie vor ihrer Haustür ab, und sie versprach Lukas eine Kerze, morgen nach der Sonntagsmesse.
    Auch in der Altstraße fuhr Lukas bis vor eine Haustür. Vor der Villa des Holzfabrikanten, wo Sigismund einmal gewohnt hatte, ließ ich ihn halten und dankte ihm mit einem keuschen Kuss. Klinkte das fremde Gartentor auf, wartete, bis das Auto um die Ecke gebogen war, lief zurück und klingelte: Altstraße 2.
    Das Schlafzimmerfenster im ersten Stock flog auf. Die Mutter: »Wer es do?«
    »Ich!«
    Ein Schlüssel wurde gedreht, ein Riegel geschoben, die Mutter im Nachthemd: »Kumm rin. Waröm bis de denn nit beim Monika jeblieben? Nächstens schläfs de bei dem, wenn et so spät wird. Is doch vill ze jefährlisch für en Mädschen.«
    Ich hätte sie küssen mögen, mitten in ihr verschlafenes Gesicht. Ich war zu Hause. Mit meinem gut verzinsten »Kapital«.
     
    Stand er am Montag bei der Kiste? Er stand. Seinen Vorwürfen über mein grußloses Verschwinden kam ich mit der Frage nach seiner Pfingstreise zuvor: Alle Welt rede von seiner Reise nach
Rom. Von un-se-rer Reise nach Rom. Das solle er mir mal erklären, bitte schön! Man könne mich schließlich nicht einfach so in den Koffer packen wie ein Fernglas oder ein Paar Socken.
    Godehard sah mich mit schiefgelegtem, gesenktem Kopf an: »Bist du deshalb so früh gegangen? Warst du mir böse?«
    »Jawohl!«, log ich mit Nachdruck.
    »Musst du aber nicht, meine kleine Hilla.« Godehard schien erleichtert. »Hättest du mich gleich gefragt! Es sollte eine Überraschung werden.«
    »Schöne Überraschung«, gab ich mich weiter gekränkt, »wenn alle anderen schon Bescheid wissen.«
    »Ja, sonst wär es ja auch keine Überraschung mehr!« Godehard gewann Boden. Sollte er. Ich hatte ihn wirklich gern, selbst wenn ich mir das immer wieder klarmachen musste.
    »Und das hier«, Godehard zog ein Kästchen aus der Tasche, kleiner als alle früheren Päckchen, »das wollte ich dir eigentlich auf meinem Fest geben. Aber komm, hier ist nicht der richtige Ort. Du hast doch noch etwas Zeit. Hast du ja am Samstag eingespart!«
    Im Stadtwald auf unserer Bank hinterm Ententeich holte Godehard das Kästchen wieder hervor. Frühlingsvögel schmetterten, das Grün brach aus den Zweigen, Godehard nahm seinen Schal ab, trat hinter mich, »Darf ich?«, schon lag das Tuch über meinen Augen, wurde festgeknotet. Et es en Sekond. Eine Sekunde! Nur eine Stunde. Die Weltliteratur dröhnte von Seufzern dieser Art, Liebeseiden, Reueschwüren, Begierden. Der Park um diese Zeit, an dieser Stelle menschenleer. Ich rutschte unruhig nach vorn, tastete nach der Binde, meine Hände wurden heruntergedrückt und hinter den Rücken gelegt.
    »Bin gleich so weit.« Papier ratschte, Godehard fluchte leise, sogar das klang vornehm bei ihm.
    »Voilà!« Vor meinen befreiten Augen Godehard, kniend, legte mir seinen Kopf in den Schoß, blinzelte mich an wie ein Bernhardiner. In seiner Hand, auf himmelblauem Samt, ein goldenes Schlänglein, zum Kreis geringelt, die blauen Augen, das
rote Zünglein im feingebildeten Köpfchen nach oben gereckt. Der Ring war sehrsehr schön. Ich griff danach, Godehard hielt mich zurück. Nahm den Ring und hob ihn der Sonne entgegen. Nie hatte ich so etwas Schönes gesehen. Nur einmal auf einer Abbildung in der Kristall: »Exquisite Juwelen. Juwelier Friedrich, Frankfurt«, hatte da gestanden. Genau wie innen auf dem Deckel des Kästchens.
    »›Die ganze Schönheit der Natur ist in den Edelsteinen auf kleinstem Raum zusammengedrängt‹, sagt Plinius in seiner Naturgeschichte«, hob Godehard zu einem seiner Vorträge an, und ich lehnte mich zurück, ließ Stimme, Ring und den Glanz der Steine zusammenfließen, die Saphire kämen aus Ceylon, dort finde man sie im reinsten dunkelsten Blau; das

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