Aufbruch - Roman
rote Zünglein hingegen ein Granat aus Böhmen, die Farbe der Liebe, die Farbe der Treue, dazu das Krönchen aus Diamant, Diamant von griechisch adamas, der Unbezwingliche, auch nach Plinius. Hätte er nur ewig weitergesprochen. Wenn er so ganz bei der Sache war, seiner Sache, wenn dieser Mann in der Sache aufging, war er mir am liebsten. Dann musste ich nur ein bisschen von seiner Begeisterung für die Steine in meine Begeisterung für den Liebhaber der Steine auf mich übergehen lassen.
»Also abgemacht.« Godehard stieß mir den Ring auf den Finger. »Pfingsten nach Rom. Meine kleine Frau.«
Ich war überwältigt. War ich auch froh? Ich dankte Godehard, indem ich ihm meinen Mund zu mehreren seiner angenehmen Küsse, meine Brust seinen geschickten Streichelfingern überließ, und war froh, als ein kleiner Junge durchs Gebüsch brach und zwischen unseren Beinen nach seinem Ball suchte, bevor sich Godehards Hände, wie es seit kurzem öfter geschah, von der Brust über Taille und Hüften weiter abwärts tasten konnten. Ich sprang hoch, schützte die leidige Mathematik vor, verhauen, ich fürchtete die Klassenarbeit verhauen zu haben, »verhauen«, Godehard schüttelte den Kopf: was für ein Wort. Aber er schien glücklich, alles wieder im Griff zu haben. Und mich.
Kaum hatte er mir den Rücken gekehrt, ließ ich den Ring im Kästchen verschwinden. Undenkbar, dem Schaffner damit meine Schülermonatskarte hinzustrecken, in der Klasse die Lingua Latina aufzuschlagen, die Logarithmentafel, den Wallenstein . Am ehesten noch könnte ich ihn zu Hause tragen. »Kaugummiautomat«, würde ich sagen, wo mit den bunten Kugeln manchmal Sächelchen wie Ringe, Broschen, Kettchen aus der Klappe fielen, und die Mutter würde maulen: »Dofür is dir dat Jeld nit ze schad!«
»Auweia!«, war alles, was Bertram sagte. Drehte den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt ihn wie Godehard ans Licht, als könne er ihm so die Antwort entlocken. »Bist du denn jetzt verlobt?« Bertram, der den Stimmbruch fast hinter sich hatte, kiekste vor Aufregung.
»Ach, Bertram«, seufzte ich. »Der Godehard gefällt mir. Aber ich will doch Abitur machen. Studieren.«
»Aber wenn er dir doch gefällt. Wenn das die Tante wüsste. Wat der an de Föß hat.« Bertram kicherte. Es klang nicht lustig.
All das Geld. Für den Vater eine Hobelbank. Vielleicht sogar den Ausbau des Schuppens. Für die Mutter einen Alpakamantel und eine Waschmaschine. Für die Großmutter eine Antoniusfigur. Zehn Seelenmessen für den Großvater. Und für Bertram und für mich?
»Wo bis de denn mit deinen Gedanken?« Bertram klappte das Kästchen zu. »Bis de schon am Verteilen? Denk dir: Nie wieder Pillen packen.«
Ich verbarg den Ring bei den anderen Steinen im Schuhkarton. War ich glücklich? Vielleicht. Aber das Glück leuchtete nicht. Es steckte im trüben Gestein, und ich konnte es nicht herausschlagen.
Wenige Tage nach Godehards Party nahm mich Monika in der Pause beiseite: »Also doch! Schon nach der Schulfeier hab ich euch gesehen. Hab es nicht geglaubt. Aber eine Cousine von mir war auch auf der Party.«
Leugnen zwecklos. Und warum auch? Godehard musste man nicht verstecken. Monika wollte alles wissen, und vor allem eines: »Gehst du wirklich mit dem? Fest?«
»Pfingsten fahren wir nach Rom.« Das reichte. Monika lud mich zu einer Party ein. »Aber bring ihn auch bestimmt mit!«
Ich gehörte dazu; mehr noch, ich gehörte hochachtungsvoll dazu. Und doch: Ein ganz normaler Oberprimaner wäre mir lieber gewesen.
Abends nahm ich den Ring aus dem Kästchen, legte ihn neben Bertrams Lachstein, legte ihn auf ihn und unter ihn, fuhr mit ihm um ihn herum. Konnten die beiden sich anfreunden? Vertragen? Ich sperrte das Schlänglein wieder weg. Lachte Bertrams Stein mich an oder aus?
Pfingsten nach Rom! Ich brauchte Geld.
Hatte bemerkt, dass Godehard meine Schuhe kritisch musterte, meine weiß, blau, rosa Blusen, die beiden Röcke, die Pepitahose. »Ich mache mir nichts aus Kleidern«, hatte ich wegwerfend erklärt, als er einmal mit mir zum Einkaufen fahren wollte. Wie hätte ich dagestanden in den Geschäften, ohne einen eigenen Pfennig? Wie die Einkäufe zu Hause erklären?
Für die Pfingstreise brauchte ich etwas Neues. Ein Kostüm. Ich konnte nicht bis zum Sommer warten, bis ich wieder Pillen packen ging. Nachhilfe musste her. Ich wandte mich an Rebmann, der gleich Rat wusste: zwei Quartaner, der eine wiederhole die Klasse. Ob ich mir das zutraute?
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