Aufbruch - Roman
Rechtschreibung und Grammatik. Da täte ich sicher ein gutes Werk.
Um gute Werke mit Lohn im Himmel war mir aber nicht zu tun, und so musste ich wohl auch ausgesehen haben, denn er beeilte sich hinzuzufügen: und ein gut bezahltes dazu. Niemand
anderem als den Sprösslingen des Direktors der Kaiser AG, wo Astrids Vater arbeitete, sollte ich auf die Sprünge von Dativ und Genitiv, Perfekt und Plusquamperfekt, Groß- und Kleinschreibung helfen. »Das wird gewiss Ihr Schade nicht sein«, hörte ich Rebmann, der sich, wenn ihm etwas nicht geheuer war, gern altertümelnder Redensarten bediente.
»Wie viel … was zahlen die denn die Stunde?«, druckste ich, und bemerkte erleichtert, obwohl mich das hätte stutzig machen sollen, dass der Lehrer ebenso verdruckst mit der Nachricht herausrückte, das wisse er nicht, und sich in einen seiner Sprüche flüchtete: »Melkt die Kühe, wo ihr sie trefft«, was mich im Nu von dem Ernst der Angelegenheit, dem Geld, ablenkte, hin zu der eigenwilligen Verfremdung dieses Spruches, den ich, da war ich sicher, schon einmal so ähnlich gehört hatte oder gelesen. Wo nur? Von wem?
Vergeblich musste Godehard am nächsten Tag bei der Kiste auf mich warten. Eine Mercedes-Limousine holte die beiden Knaben und mich von der Schule ab. Ich saß neben dem Chauffeur, der, unsicher, ob er mich als Personal oder Gast des Hauses zu behandeln hatte, so tat, als sei ich gar nicht da, so, wie meine beiden Zöglinge auf dem Rücksitz, die nach einer flüchtigen Begrüßung ihr Gespräch über heimische Schnecken, offenbar Thema der letzten Biologiestunde, fortsetzten.
Von der Allee bogen wir in eine schmale Straße, die in steilen Windungen einen Hügel hinaufführte. Die beiden Jungen wurden merklich stiller, eine gedrückte Stimmung machte sich breit. Wir hielten vor einem Bungalow.
Der Chauffeur riss die Tür auf, erst den Jungen, dann mir. Die beiden schlichen auf das Haus zu, ein langgestrecktes L-förmiges Gebäude, über der Eingangstür halbrunde Fenster, die mich wie zwei freche Ferkelaugen ansahen. Nicht viel fehlte, und ich hätte ihnen die Zunge rausgestreckt.
Eine robuste Frau, Hausdame Fräulein Marie, wie sie sich vorstellte, bat mich in ein kleines Zimmer neben der Diele. Ich setzte mich auf das kurze, geschwungene Sofa und musterte die
Vitrine, darin Teller mit Blumen und Vögeln, vor mir ein runder Tisch, zwei Stühle. Die Wände über und über mit gerahmten Photographien von Menschen bedeckt; einzeln oder in Gruppen, bei Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, unter Christbäumen, auf Bergen, auf Schiffen, am Meer.
Die Schritte der Jungen entfernten sich, ihr unterdrücktes Lachen, Türenschlagen. Wer immer da kommen sollte, ließ auf sich warten.
Klappernde Absätze kündigten sie an.
À la Dr. Oheim sprang ich auf, als die Ältere, die Respektsperson, den Raum betrat, und wartete, bis mir »Frau Direktor Wagenstein« die Hand entgegenstreckte, die ich mit einer »anmutigen Kopfbewegung« ergriff und drückte, »fest und kurz, aber nicht brutal«; murmelte weder »Sehr erfreut« oder gar »Angenehm«, total veraltet, genauso wie der »Direktor«, den die Frau für sich beanspruchte.
»Bitte setzen Sie sich doch« oder »Behalten Sie Platz«, hätte sie nun sagen müssen, was sie aber keineswegs tat, sich vielmehr auf einem der Stühle zurechtrückte, während ich vor ihr stand und wartete, bis es mir zu dumm wurde, und mich vorsichtig auf der äußersten Kante des Sofas niederließ.
Frau Wagenstein sah wirklich aus wie eine Frau Direktor Wagenstein. Oder wie ihre Vorstellung von einer Frau Direktor Wagenstein. Blaues Kostüm mit weißer Bluse, blau-weiße Pumps, dezent geschminkt, das blonde Haar hochaufgetürmt, und das an einem Mittwochnachmittag zu Hause. Unübersehbar ihr Bemühen, Autorität aus der Stellung ihres Mannes für sich selbst abzuzweigen. Ihr gebieterisches Auftreten hatte etwas Geborgtes, Vorgeschobenes. Sie blieb Gattin. Ich spürte das, und ich spürte auch, dass sie spürte, dass ich spürte. Ich durchschaute sie. Und doch. Warum konnte ich auf ihre mit süßlich-feiner Stimme vorgebrachte Frage nach meiner Vorstellung des Honorars - ja, »Honorar«, sagte sie, als wäre ich ein Künstler oder ein Clown - nicht mit fester Stimme antworten, so, wie ich es mir im Holzstall viele Male vorgesprochen hatte:
»Nun, ich dachte an fünf Mark die Stunde.« Warum kriegte ich diese Forderung nicht über die Lippen, stammelte vielmehr etwas von Freude, sogar Ehre, den
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