Aufbruch - Roman
omnis divisa in partes tres. Die sichtbaren Spuren längst getilgt. Was blieb, war das dreigeteilte Gallien im Buch. Und in meinem Kopf. Unsichtbar. Als Spur des vergangenen Sichtbaren nur in mir. Ich bin meine Spur. Und je mehr Spuren ich in mir versammle, desto gefestigter wird die meine. Desto …
Ein sachter Rippenstoß von Peter: »Meins de nit, da sollte noch wat hin? Wat Jrünes?« Peter deutete zum Kilgenstein-Grab hinüber.
Ich folgte seiner Hand, ohne zu begreifen. War doch alles perfekt.
»Komm«, Peter erhob sich. »Hier siehs de, hier muss noch wat hin, wat Hängendes.«
Peter hatte recht. Nie hätte ich es selbst entdeckt. Doch sobald er einen Zweig des Fächerahorns, »Acer palmatum«, sagte er, über den Grabstein drapierte, sah ich: Diese scheinbare Unordnung, die arrangierte Zufälligkeit hatte gefehlt, unser Werk zu vollenden.
»Wat meins de, wat isch morjen mitbringen soll?«, fragte Peter. »Eine Salix alba ›Tristis‹, eine Trauerweide, oder so eine Salix caprea ›Pendula‹? Das ist eine Hängekätzchenweide.«
Am liebsten hätte ich ihm einen Kuss gegeben. Zum ersten Mal, seit wir hier miteinander arbeiteten, nahm Peter mich ernst. Ich fasste ihn beim Arm und lachte ihn an.
»Wat lachs de denn?« Peter sah mich mit leicht geöffneten Lippen an. Sah mich an wie vor Jahren, wenn ich auf seinem Mofa die Arme um ihn geschlungen hatte. In meinen Fingerspitzen fühlte ich das Pochen seines Pulses. Ich drückte seinen Arm, seine braungebrannten Muskeln unterm karierten Hemd ein wenig stärker: »Was du für ein gutes Auge hast, Peter. Ja, sehr schön. Eine Salix alba ›Tristis‹, so eine Trauerweide wäre da sehr schön.« Nicht nur mein Mund, auch mein Herz lachte Peter entgegen. Warum fühlte ich mich bei ihm so viel wohler als je bei Godehard?
Peter nahm meine Hand von seinem Oberarm. Hielt sie fest. Jetzt lächelte auch er. Bis in die Augen hinein: »Hm. Ja. Wird aber doch leider sehr jroß.«
Wir gingen zurück zur Bank. Ich setzte mich, zog ihn neben mich. Er roch nach heißem Torf und frischgebackenem Brot. Seine Hand warm, trocken, zuverlässig und versöhnlich in meiner. »Dann vielleicht eine Birke?«
»Hängebirke«, wiegte Peter den Kopf. »Betula pendula. Könnt man machen. Oder wat häls de von Kiefern? Pinus mugo ›Mops‹ oder Pinus mugo ›Pumilio‹?«
Ehe ich antworten konnte, tauchte sie vor uns auf, musste sich vom Komposthaufen her genähert haben, trat aus der Sonne in unseren schattigen Rastplatz: »Also, is et wahr!« Ein stämmiges Mädchen, das aschblonde Haar treppenförmig gestuft bis zu den Schultern, versperrte uns die Sicht. Die Arme vor der Brust verschränkt, sah sie auf uns hinab, als wollte sie gleich die Handschellen aus der Tasche holen. Peter schnellte hoch, setzte sich wieder, sprang auf und ergriff das Mädchen an den Schultern, zaghaft, nur einen Schritt zur Seite musste sie machen, um ihn abzuschütteln.
»Zuerst erklärst du mir dat!«
Das Mädchen löste die Arme von der Brust und bohrte mir seinen Zeigefinger entgegen.
»Dat is doch dat Hilla«, sagte Peter. Mit hängenden Armen stand er neben dem Mädchen und sah vorbei an ihrem ausgestreckten Zeigefinger auf mich hinunter wie auf ein schönes Geschenk, das einem gleich genommen wird.
»Dat seh isch«, entgegnete das Mädchen kurz angebunden, zog den Zeigefinger zurück und legte die Hand auf Peters Oberarm ab. Natürlich! Ich hatte sie schon einmal gesehen. Mit Peter in der »Raupe«. Es war das Mädchen von der Kirmes, der Fischbrötchenkirmes. Die Tochter aus der Strauberger Gärtnerei.
»Dat seh isch«, wiederholte das Mädchen und zog Peter einen Schritt mit sich, weg von der Bank. Weiter blauer Rock, enger weißer Pulli, dazu ein rot-blaues Nickytuch und weiße Ballerinas: Sie hatte sich feingemacht.
»Wat hat die hier ze suchen?«, forschte sie, mich in meiner verdreckten Hose, der verschossenen Bluse verächtlich musternd.
»Dat is doch dat Hilla«, wiederholte Peter. »Dat arbeitet bei mir.« Mit einem ungewohnt heftigen Ruck versuchte er, sich aus ihrem Griff zu befreien.
»Arbeede!« Die Knöchel ihrer sonnenverbrannten Hand auf Peters Oberarm traten weiß hervor.
»Arbeede! Op dr Bank! Dat es dat letzte Mal, dat isch dat hier sehe. Wat jlövs de, wat die Lück kalle? 34 Nit mit mir!« Das Mädchen schnaufte noch einmal, und dann war es ganz still. Lauschend drehten wir den Kopf zur Kettenfabrik, wo der Vater eine der Maschinen bediente. Das ununterbrochene
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