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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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haben, war seine Antwort gewesen. Was ist schön?, hätte ich ihn jetzt gerne gefragt. Ich konnte mir die Antwort selber geben mit jedem Blick, der auf ein Blatt, eine Knospe, eine Blüte fiel, alles wuchs in seiner Schönheit meinen Augen entgegen. Pflanzen können nicht lügen, ging mir durch den Kopf. Und der eine Satz des Sokrates, den ich nicht vergessen wollte: dass nur dann schön ist, was ich sage, wenn es auch wahr ist.
    Peter reagierte ungeduldig, fast unwirsch, wenn ich über der Form einer Margeritenrosette oder dem fiedrigen Weiß der Gierschblüte ins Träumen geriet. Vor seinem ernsthaften, unbeirrten Zugriff, seinem unbestechlichen Sortieren in gute und schlechte Pflanzen, kam mir mein Entzücken bald theatralisch vor. Doch diese Arbeit allein als Mittel zum Zweck, zum Gelderwerb zu sehen, dazu konnte mich sein sachlicher Blick nicht bringen. Im Gegenteil. Sogar seine Hände, die ich hier oft und lange vor Augen hatte, wurden schöner von Tag zu Tag. Peter Bender, das war nicht länger sein ebenmäßiges, gleichwohl leeres Gesicht, war nicht allein sein langsames Begreifen und Verstehen. Peter, das waren seine Hände. Braungebrannte Hände mit kurzen, kräftigen Fingern, Schaufeln gleich, die unbeirrt durch die Erde pflügten, Räume öffneten und sie wieder füllten, Hände über Bestehen und Vergehen. Hände ohne jede Spur von Stolz, Hände, die dem Willen des Schöpfers folgten seit Anbeginn und sich die Erde untertan machten.

    Meine Hände dagegen - ihr Zögern, bevor Daumen, Zeigeund Mittelfinger einen blühenden Günsel packten und rupften; ehe sich die Faust um eine Ackerwinde schloss und sie aus dem Wacholder zerrte. Meine Hände, die ich nun abends mit der Wurzelbürste schrubbte, waren keine selbständigen Wesen wie Peters Hände. Meine Hände waren Befehlsempfänger, Dienstboten des Gehirns. Und doch liebte ich es, ihnen zu folgen, nicht nur mit den Augen, die ich immer wieder schloss, um die Erde zwischen den Fingern ohne den Filter meiner Pupillen zu spüren.
    Auch wenn wir Pause machten - Peter gab hierfür das Zeichen -, sprachen wir kaum. Peter holte seine Aktentasche hinter dem Grabstein seiner Großeltern hervor und trank Tee aus der Becherkappe der Thermoskanne. Ich hatte die Feldflasche des Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg feucht gemacht und in der Sonne gekühlt. So hockten wir in der Morgenpause auf der Einfassung des Grabes - immer auf dem, das Peter gerade machte - und verzehrten einsilbig unsere Brote. Erst mittags setzten wir uns bei den Honoratiorengräbern auf die Bank unter der Linde in den Schatten. Hier wurde Peter gesprächiger, stellte mir die nächsten Grabgestaltungen vor, erklärte, was wir auf die Schatten-, was auf die Sonnengräber pflanzen würden, ob wir schwere oder leichte Erde aufbringen, Kali oder Stickstoff düngen sollten, schwarzen oder roten Torf. Stiefmütterchen, Erika, Begonien. Bloß keine Tagetes, nichts als Schneckenfraß, anfangs habe er das mal gemacht und am nächsten Morgen - ratzekahl. Peters klassisch geformte Lippen verzerrten sich in Abscheu. Wenn sein Wesen in seinen Händen lag, so lag darin auch ein Zug von Grausamkeit. Oder war dies einfach nur die sicherste und schnellste Methode, die verhassten klebrigen Nacktschleicher aus der Welt zu schaffen? Einfach mit der Blumenschere durchschneiden und weg damit, zwei schlierige Schneckenhälften, denen blaugrauer Gallert unter der braungerillten Oberschicht herausquoll, einfach wegschmeißen zwischen die letzten Ruhestätten, wo sich die glibberigen Häufchen alsbald in der Sonne auflösten.

    Zu Hause sammelte die Großmutter die Schnecken in einer Blechbüchse, hatte sie früher ins Plumpsklo geworfen. Nachdem uns der Lottogewinn ein Wasserklosett beschert hatte, wurden die Schnecken dort hinuntergespült, bis die Mutter eines Abends ins Wohnzimmer stürzte, wo wir mit den Nachbarinnen Was bin ich? verfolgten: »Nu lurt ösch dat ens an!« 30 Einer Schnecke war die Flucht aus der Tiefe des Raums in die Porzellankloschüssel gelungen.
    Seitdem wurden die Schnecken im Garten vergraben.
    Unnachsichtiger Umgang mit Ungeziefer, mit Schädlingen war mir also nichts Neues. Es musste sein. Und doch. Der Widerspruch zwischen Peters schönem Wesen, das ich seinen Händen zuschrieb, und seiner schneckenschneidenden Rechten blieb verstörend. Peter merkte von alldem nichts. Wenn er nicht von Blumensorten, Blumenerde, Blumendünger oder den Wetteraussichten sprach, blieb er stumm.
    Einmal, ich war

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