Auferstehung 1. Band
ihre körperliche Erscheinung und ihr moralischer Charakter wiesen alle Anzeichen der Entartung auf. Doch die Hauptanstifterin des Verbrechens war die Maslow, die den Typus der modernen sozialen Dekadenz in ihrer niedrigsten Form darstellte.
»Dieses Geschöpf,« fuhr der Staatsanwalt, ohne sie anzusehen, fort, »hat im Gegensatz zu ihren Mitschuldigen die Wohlthaten der Erziehung genossen. Wir haben eben gehört, daß die Angeklagte nicht nur lesen und schreiben kann, sondern sogar französisch spricht und versteht. Ein natürliches Kind, zweifellos mit einem atavistischen Makel behaftet, ist die Maslow in einer der vornehmsten Adelsfamilien erzogen worden; sie hätte recht gut von ehrenhafter Arbeit leben können; doch sie hat ihre Wohlthäterverlassen, um sich ganz und gar ihren bösen Instinkten zu überlassen, wobei sie auf ihre Verehrer jenen geheimnisvollen Einfluß ausübte, mit dem sich die Wissenschaft in der letzten Zeit beschäftigt und den die Schule Charcots so glücklich als geistige Suggestion erklärt hat. Tiefe Macht der Suggestion hat sie auf den ehrenhaften und naiven russischen Riesen ausgeübt, der ihr in die Hände gefallen ist, und dessen Gutmütigkeit sie mißbraucht, indem sie ihn zuerst seines Geldes, und dann seines Lebens beraubte!«
»Auf Ehrenwort, er faselt!« sagte der Präsident lächelnd, indem er sich zu dem strengen Richter wandte.
»Ein schrecklicher Dummkopf,« versetzte der strenge Richter.
»Meine Herren Geschworenen,« fuhr der Staatsanwalt inzwischen mit demütigem Kopfnicken fort, »in Ihren Händen ruht jetzt das Schicksal dieser drei Verbrecher und zum Teil auch das der Gesellschaft, denn Ihr Urteil hat die Bedeutung einer großen sozialen Handlung. Sie werden diesem Verbrechen auf den Grund gehen; Sie werden sich überzeugen, daß entartete, ja, ich darf wohl sagen, pathologische Elemente, wie die Maslow, eine Gefahr für die Gesellschaft bedeuten, und Sie werden die Gesellschaft vor der Ansteckung dieser Elemente bewahren. Sie werden die gesunden und kräftigen Elemente der Gesellschaft vor der Verpestung durch die krankhaften Elemente schützen!«
Von der sozialen Bedeutung des zu fällenden Urteils förmlich erdrückt, ließ sich der Staatsanwalt entzückt auf seinen Sessel zurückfallen. Der eigentliche Sinn seiner Anklage bestand unter der Fülle der umkleideten Stilblüten in der Behauptung, die Maslow hätte den Kaufmann hypnotisiert, sich seines ganzen Vertrauens bemächtigt und ihn ausgeplündert; da ihr Plan aber von Simon und Euphemia entdeckt wurde, so hätte sie mit diesen teilen müssen. Um dann die Spuren ihres Diebstahls zu verbergen, habe sie den Kaufmann gezwungen, mit ihr ins Hotel zurückzukehren, wo sie ihn vergiftet hatte.
Gleich nach der Anklagerede erhob sich auf der Bank der Verteidiger, ein kleiner Mann in mittleren Jahren, im Frack und tiefausgeschnittener Weste, und begann eine kräftige Rede zur Verteidigung Kartymkins und der Botschkoff. Es war ein vereideter Konsulent, und die beidenAngeklagten hatten ihm im voraus für sein Plaidoyer 300 Rubel gezahlt. Daher versäumte er auch nichts, um sie als unschuldig hinzustellen und schob die ganze Schuld auf die Maslow.
Er erklärte vor allem, die Behauptung der Maslow, Simon und Euphemia wären im Augenblick, da sie das Geld genommen, im Zimmer gewesen, für falsch. Diese Behauptung könnte keinen Wert haben, da sie von einer des Giftmords überführten Person stammte. Die von Simon in der Bank eingezahlten 1800 Rubel könnten sehr wohl die Ersparnisse zweier fleißiger und ehrlicher Dienstboten darstellen, die nach der Aussage des Hotelwirts 3–5 Rubel Trinkgeld täglich erhielten. Was das Geld des Kaufmanns betraf, so war es zweifellos von der Maslow gestohlen worden, die es jemandem gegeben oder verloren hatte, da sie, wie aus der Untersuchung hervorging, an jenem Abend betrunken gewesen. Auch im Punkte der Vergiftung wäre kein Zweifel möglich, die Maslow gab ja selbst zu, das Gift hineingeschüttet zu haben.
Infolgedessen bat er die Geschworenen, Kartymkin und die Botschkoff des Diebstahls für unschuldig zu erklären; sollten sie sie dessen jedoch schuldig finden, so bat er, sie von der Anklage des Giftmordes freizusprechen oder wenigstens die Ueberlegung auszuscheiden.
Schließlich bemerkte der Verteidiger Simons und Euphemias, »die glänzenden Bemerkungen des Herrn Staatsanwalts über den Atavismus, wären, so bedeutend sie auch vom wissenschaftlichen Standpunkte aus wären,
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