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Auferstehung 1. Band

Auferstehung 1. Band

Titel: Auferstehung 1. Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo N. Tolstoi
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schmerzlich.
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    »Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!« sagte sich Nechludoff in diesem Augenblick, als er zu Fuß auf demselben Wege, den er schon oft zurückgelegt, heimkehrte. Der peinliche Eindruck, den seine Unterredung mit Missy erweckt, wollte noch immer nicht schwinden. Er fühlte, daß er materiell dem jungen Mädchen gegenüber frei war, daß er sich ihr nie ausdrücklich erklärt und ihr nichts gesagt hatte, was ihn hätte binden können; doch er fühlte auch, daß er in Wirklichkeit darum nicht weniger gebunden war. Er fühlte das, und ebenso fühlte er mit der ganzen Kraft seiner Seele, daß es ihm unmöglich war, sie zu heiraten.
    »Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!« wiederholte er sich, während er nicht allein an seine Beziehungen zu Missy, sondern an sein ganzes Leben und das der andern dachte. Diese Worte kehrten unaufhörlich wie ein Endreim in seiner Seele wieder, und er wiederholte sie sich noch, als er seine Wohnung betrat.
    »Ich werde heute abend nicht speisen,« sagte er zu seinem Diener Kornej, der ihm in dem Speisezimmer entgegeneilte und ihm auftragen wollte. »Gehen Sie!«
    »Wie Sie wünschen,« entgegnete der Diener, ging aber nicht, sondern fing sofort an, den Tisch abzudecken, wobei Nechludoff sich des Gedankens nicht erwehren konnte, er thue das nur, um ihn zu ärgern. Er wünschte, jedermann ließe ihn in Frieden, und dabei schienen es alle darauf anzulegen, ihn absichtlich zu belästigen. Endlich ging der Diener fort, und Nechludoff trat zu dem Samowar, um sich seinen Thee zu bereiten; als er aber im Vorzimmer die schweren Schritte Agrippina Petrownas hörte, entfloh er hastig, denn er wollte sie nicht sehen und ging in den Salon, dessen Thür er hinter sich abschloß.
    In diesem Salon war seine Mutter vor fünf Monaten gestorben. Zwei Reflektorlampen erleuchteten das geräumige Zimmer und warfen ein scharfes Licht auf zwei große, an der Wand hängende Porträts, das seiner Mutter und seines Vaters. Als er diese Bilder wiedersah, erinnerte er sich an die letzten Beziehungen, die er zu seiner Mutter gehabt hatte, und erkannte, daß auch sie gefälscht und unnatürlich gewesen waren. Auch hier fand er nur Schmach und Ekel. Er erinnerte sich, daß er in den letzten Krankheitstagen seiner Mutter fast ihrenTod gewünscht hatte. Er hatte sich gesagt, er wünsche diesen Tod, um die Unglückliche von ihren Leiden befreit zu sehen; jetzt aber fühlte er, er hatte ihn gewünscht, um selbst vom Anblick dieser Leiden befreit zu werden.
    Da er der Qual dieser Erinnerungen entfliehen wollte, so näherte er sich dem Porträt, dem Werke eines berühmten Malers, für das einst 5000 Rubel bezahlt worden waren. Die Fürstin Nechludoff war auf demselben in schwarzseidenem Kleide mit entblößtem Busen dargestellt. Man sah, der Künstler hatte die größte Sorgfalt darauf verwendet, den Anfang der Brüste, den sie trennenden Zwischenraum, den Hals und die sehr schönen Schultern der Dame zu malen, und von neuem wandelte ihn eine Empfindung der Scham und des Ekels an. Er war entsetzt; wie empörend war diese Art, seine Mutter als halbnackte Schönheit darzustellen! Es war um so empörender, als dieselbe Frau vor fünf Monaten in demselben Zimmer ausgetrocknet wie eine Mumie, auf einem Divan gelegen und einen Geruch ausgeströmt, der sich durch das ganze Haus verbreitete. Nechludoff erinnerte sich, daß sie am Tage vor ihrem Tode seine Hand in ihre armen, abgemagerten Hände genommen und zu ihm gesagt hatte: »Verdamme mich nicht, Mitja, wenn ich gesündigt habe«; dabei waren Thränen aus ihren angstvoll blickenden Augen gestürzt.
    »Welche Schmach!« sagte er sich, und betrachtete von neuem das Bild, auf welchem seine Mutter ihre üppigen Brüste mit schamlosem Lächeln zur Schau stellte.
    Diese nackte Brust erweckte in ihm die Erinnerungen an eine andere Frau, die er vor einiger Zeit ebenso dekolletiert gesehen hatte. Das war Missy, die ihn an einem Ballabende aufgefordert, sich ihr neues Kleid anzusehen, und Nechludoff erinnerte sich mit wahrem Widerwillen, mit welchem Vergnügen er die hübschen Schultern und schönen Arme des jungen Mädchens betrachtete; er erinnerte sich, daß Missys Eltern dieser Toilette beiwohnten, dieser plumpe und sinnliche Vater mit seiner blutbefleckten Vergangenheit und diese Mutter mit dem verdächtigen Ruf. Das alles war gleichzeitig abstoßend und schmachvoll; Schmach und Ekel, Ekel und Schmach!
    »Nein, nein,« dachte er, »das kann nicht so weiter gehen, ich

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