Auferstehung
Harry, und denken Sie darüber nach. Aber nicht zu lange. Wie ich schon sagte, wir brauchen Sie. Je früher, desto besser ...«
Harry dachte an Viktor Shukshin. Harry konnte es nicht wissen, aber Shukshin war der Mann, von dem sich Gormley beobachtet gefühlt hatte. »Es gibt etwas, das ich zuerst erledigen muss«, sagte er, »bevor ich eine endgültige Entscheidung treffen kann.«
»Natürlich, ich verstehe das.«
»Es könnte einige Zeit dauern. Vielleicht fünf Monate?«
Gormley nickte. »Wenn es sein muss.«
»Ich glaube schon, ja.« Zum ersten Mal lächelte Harry sein natürliches, scheues Lächeln. »He, ich fühle mich total ausgetrocknet! Möchten Sie einen Kaffee?«
»Sehr gerne«, lächelte Gormley zurück. »Und während wir ihn trinken, könnten Sie mir ja etwas über sich erzählen, oder?«
Harry fühlte ein großes Gewicht von seinen Schultern fallen. »Ja«, seufzte er. »Das könnte ich wirklich.«
Zwei Wochen später beendete Harry Keogh seinen Roman und ›trainierte‹ für Viktor Shukshin. Ein Vorschuss auf das Buch gewährte ihm die finanzielle Sicherheit, die er in den nächsten fünf oder sechs Monaten brauchte.
Der erste Schritt dazu war der Eintritt in eine Gruppe verrückter Allwetter-Schwimmenthusiasten, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatten, das ganze Jahr über wenigstens zwei Mal pro Woche in der Nordsee zu baden – Weihnachten und Neujahr eingeschlossen! Sie waren bekannt dafür, das Eis im Trinkwasserreservoir von Harden zu brechen, um zugunsten der Britischen Herzstiftung Hechtsprünge zu vollführen. Brenda, die, außer wenn es um Harry ging, eigentlich ein vernünftiges Mädchen war, hielt ihn natürlich für übergeschnappt.
»Im Sommer ist das ja alles ganz schön«, hatte sie eines Abends Ende August zu ihm gesagt, als sie sich in seiner Wohnung nackt in den Armen lagen, »aber was ist, wenn es anfängt, kalt zu werden? Ich kann mir das gar nicht ansehen – du brichst das Eis auf und gehst dann schwimmen! Was soll eigentlich der ganze Blödsinn mit dem Schwimmen?«
»Es ist einfach ein Weg, fit und gesund zu bleiben«, hatte er ihr gesagt und ihre Brüste geküsst. »Magst du mich nicht gesund?«
»Manchmal«, hatte sie geantwortet und sich ihm wieder ganz zugewandt, als er erneut in ihrer Hand hart wurde, »bist du mir ein bisschen zu gesund!« In Wirklichkeit war sie glücklicher als je zuvor in den vergangenen drei Jahren. Harry war nun sehr viel offener, brütete weniger, war lebendiger und aufregender. Sein plötzliches Interesse an Sport beschränkte sich keineswegs auf das Schwimmen. Er hatte auch mit Selbstverteidigung begonnen und war einem kleinen Judo-Club in Hartlepool beigetreten. Nach nur einer Woche hatte ihn sein Trainer dort als ›Naturtalent‹ bezeichnet und ihm erklärt, dass er große Dinge von ihm erwarte.
Er hatte natürlich nicht gewusst, dass Harry noch einen anderen Lehrer hatte – einen Mann, der einst der Judomeister seines Regiments gewesen war und nun nichts Besseres zu tun hatte, als sein ganzes Wissen an Harry weiterzugeben.
Was Harrys Schwimmen betraf: Er hatte sich immer als passablen Schwimmer bezeichnet, aber nun sah er, dass sein Können sich in Grenzen hielt. Zu Beginn lag der Rest der Gruppe weit vor ihm – wenigstens bis er einen ehemaligen olympischen Silbermedaillengewinner aufgespürt hatte, der 1960 bei einem Autounfall umgekommen war. Diese Tatsache war auf seinem Grabstein auf dem St. Mary Friedhof in Stockton verzeichnet.
Harry wurde enthusiastisch begrüßt (sein Plan jedoch mit Skepsis), und sein neuer Freund beteiligte sich ausgelassen an dem Spaß und den Spielen.
Selbst mit diesem Vorteil galt es jedoch immer noch, die physische Seite zu überwinden. Harry ließ sich von dem Geist des Schwimmers leiten, soweit es die Technik betraf, aber bei seinem Mangel an Muskelkraft gab es keine Hilfe. Da half nur Training. Dennoch machte er rapide Fortschritte. Ab September konzentrierte er sich auf das Tauchen. Er versuchte herauszufinden, wie lange er mit einem Atemzug unter Wasser bleiben und wie weit er schwimmen konnte, bevor er wieder an die Oberfläche musste. Den Tag, als er zum ersten Mal zwei ganze Beckenlängen unter Wasser geschafft hatte, strich er sich rot im Kalender an. Alle Anwesenden hatten mit dem Schwimmen aufgehört, um ihn zu beobachten. Der Bademeister des Schwimmbads in Seaton Carew bat ihn hinterher um sein Geheimnis. Harry hatte mit den Schultern gezuckt und geantwortet: »Es ist alles im
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