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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Nachteimer auf und trugen ihn auf ihren Schultern fort. Die Weiber traten eine nach der andern in den Korridor, um sich an der Wasserleitung zu waschen. Die Rothaarige zankte sich, während sie darauf, wartete, daß die Reihe an sie kam, mit einer andern Frau aus einem Nebensaal, und von neuem hörte man Schimpfworte, Geschrei und Beleidigungen.
    »Du hast dir wohl vorgenommen, ins Karzer zu kommen?« rief der Aufseher, näherte sich der Rothaarigen und versetzte ihr einen so heftigen Schlag auf den Rücken, daß man es auf dem ganzen Korridor hören konnte.
    »Ich will deine Stimme nicht mehr hören,« fuhr er, sich entfernend, fort.
    »Der Alte hat wirklich eine kräftige Faust,« sagte die Rothaarige, ohne sich über diese etwas schroffe Liebkosung aufzuregen.
    »Und beeilt euch,« fuhr der Aufseher fort, »es ist Zeit zur Messe!«
    Die Maslow hatte sich noch nicht die Haare gemacht, als der stellvertretende Direktor mit einem Register in der Hand eintrat.
    »Aufstellen zum Appell,« rief der Aufseher.
    Aus den andern Sälen kam andere Weiber, und alle Gefangenen stellten sich in zwei Reihen den Korridor entlang auf, wobei die aus der zweiten Reihe die Hände auf die Schultern der vor ihnen stehenden Weibern legen mußten.
    Der Offizier zählte sie, rief ihre Namen auf und entfernte sich dann mit seinem Register.
    Einige Augenblicke später zeigte sich die Aufseherin, die die Gefangenen nach der Messe führen mußte. Die Maslow und die Fenitschka standen in der Mitte der Kolonne, die aus mehr als hundert Frauen gebildet wurde, und alle trugen das weiße Gefängniskleid mit den weißen Kopftüchern. Nur hier und da sah man einzelne Bäuerinnen, die nach der Mode ihrer Dörfer gekleidet waren; das waren die Frauen der zur Zwangsarbeit verurteilten Verbrecher, denen man gestattet hatte, das Schicksal ihrer Männer zu teilen.
    Die lange Kolonne füllte die ganze Treppe aus, und man hörte das Klappern der Schuhe auf den Fliesen, ein Stimmengemurmel und zeitweise sogar Lachen. An einer Ecke bemerkte die Maslow das boshafte Gesicht ihrer Feindin, der Botschkoff, die an der Spitze der Kolonne marschierte; sie machte die Fenitschka darauf aufmerksam.
    Am Fuße der Treppe schwiegen alle Weiber und traten, das Kreuz schlagend und sich verneigend, zu zwei und zwei in die noch leere, aber schon im Lichterglanze strahlende Kapelle. Sie stellten sich rechts auf und setzten sich dann eng zusammengedrängt auf eine Reihe von Bänken. Gleich darauf kam die Reihe an die Männer, die, sämtlich grau gekleidet, sich auf der linken Seite und im Mittelpunkt der Kapelle niederließen. Einige wurden über eine kleine Treppe zur Orgel geführt, die sich auf dem obersten Punkte des Kirchenschiffes befand.
    Die Gefängniskapelle war erst kürzlich auf Kosten eines reichen Kaufmannes renoviert und neu ausgestattet worden, der zu diesem Zweck mehrere tausend Rubel ausgegeben hatte. Sie glänzte im Goldschmuck und hellen Farben.
    Einige Zeit lang blieb es in der Kapelle ruhig; man hörte nur das Geräusch sich schnäuzender Nasen, Husten, Kindergeschrei und zuweilen Kettengerassel. Bald aber traten die Gefangenen, die in der Mitte saßen, zur Seite, um einen Zwischenraum freizulassen, und in diesem Gange erschien mit feierlichem Schritt der Gefängnisdirektor, der bis zur ersten Reihe vortrat.
    Sofort begann der Gottesdienst. Die Maslow, die in der Mitte der Gefangenenschar stand, konnte nichts weiter, als den Rücken der vor ihr stehenden Frauen sehen, doch als sich alle in Bewegung setzten, um das Kreuz und dem Priester die Hand zu küssen, war es ihr eine große Zerstreuung, die Anwesenden, den Direktor und die Aufseher zu sehen; hinter ihnen erkannte sie einen Mann mit Knebelbart und blonden Haaren, den Gatten der Fenitschka, der seine Blicke zärtlich auf seine Frau richtete.
    »Die Maslow soll ins Sprechzimmer kommen,« sagte ein Aufseher, als die Weiber die Kapelle verließen.
    »Welches Glück!« sagte sich die Maslow, hocherfreut über die neue Zerstreuung, die sich ihr bot. Sie dachte, es wäre jedenfalls Bertha oder ihre Freundin Klara, die sie besuchte, und so folgte sie fröhlichen Schrittes die Korridore entlang denjenigen ihrer Gefährtinnen, die man ebenfalls in das Sprechzimmer gerufen hatte.

Elftes Kapitel
    Auch Nechludoff war frühzeitig aufgestanden. Als er seine Wohnung verließ, um sich nach dem Gefängnisse zu begeben, schien die ganze Stadt noch zu schlafen. Nur ein Bauer fuhr mit seinem Karren von Thür zu Thür und

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