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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ist meine Braut; ihre Eltern haben uns erlaubt, den Gefangenen dies hier herzubringen.«
    »Ich komme selbst zum erstenmal her und kenne die Gebräuche des Ortes nicht, glaube aber, Sie thun gut, sich dorthin zu wenden,« versetzte Nechludoff und deutete mit dem Finger auf den galonnierten Aufseher, der vor seinem Register saß.
    Plötzlich öffnete sich die äußere Thür des Gefängnisses, und man sah einen Offizier in Gala-Uniform, der von einem Aufseher begleitet wurde, der einige Worte leise mit seinem Vorgesetzten wechselte und dann erklärte, die Besucher könnten eintreten.
    Die Schildwache trat zur Seite, und alle drängten sich dem Gefängnisthor zu, als fürchteten sie, zu spät zu kommen.
    Hinter der Thür stand ein Aufseher, der die Besucher, die an ihm vorüberschritten, mit lauter Stimme zählte. Einige Schritte weiter im Hintergrunde des ersten Korridors stand wieder ein Aufseher, der alle Personen, die an ihm vorüberkamen, am Arm faßte, bevor er sie durch eine kleine Thür gehen ließ, und sie von neuem zählte, damit man sich beim Ausgang davon überzeugen konnte, daß kein einziger Besucher im Gefängnis geblieben und kein einziger Gefangener dasselbe verlassen hatte. Dieser Aufseher, der mit seiner Berechnung viel zu sehr beschäftigt war, um sich die Gesichter anzusehen, mit denen er zu thun hatte, schlug Nechludoff, als dieser vorüberkam, heftig auf die Schulter, worüber er sich trotz seiner vortrefflichen Absichten doch etwas ärgerte.
    Die kleine Thür führte in ein großes gewölbtes Zimmer mit Eisenbeschlägen an den Fenstern. Nechludoff durchschritt es langsam und ließ die eilige Flut der Besucher an sich vorüber. Er empfand gleichsam ein Gefühl des Widerwillens gegen die in diesem Gefängnis eingesperrten Verbrecher, ein Gefühl des Mitleids für die Unschuldigen, die, wie Katuscha und der Angeklagte vom vorigen Tage, mit ihnen zusammen dort eingesperrt waren, und ein Gefühl des Stolzes und der Freude bei dem Gedanken an die Heldenthat, die er vollbringen wollte.
    Am andern Ende des großen Saales sagte ein Aufseher etwas zu den Besuchern, die an ihm vorüberzogen. Doch Nechludoff, der in seine Gedanken versunken war, hörte nicht auf ihn und folgte weiter der vor ihm herschreitenden Gruppe. So kam er nach dem Männersprechzimmer, während er sich doch hatte nach dem Frauensprechzimmer begeben wollen.
    Als er als letzter in das Sprechzimmer trat, war er zuerst von einem betäubenden Lärm betroffen, den eine große Reihe gleichzeitig sprechender Stimmen hervorbrachte. Die Ursache dieses Lärmes erkannte er erst, als er in die Mitte des Saales gelangte, wo die Menge der Besucher wie ein Schwarm Fliegen auf einem Stückchen Zucker sich vor einem Gitter zusammendrängte.
    Der Saal war von einem Doppelgitter, das von der Erde bis zur Decke hinanstieg, in zwei Hälften geteilt. Zwischen den beiden Gittern lag ein Raum von ungefähr drei Arschin, in welchem Soldaten auf und ab gingen. Auf der einen Seite standen die Gefangenen, auf der andern Seite die Besucher. Sie waren durch zwei Gitter und einen leeren Raum von drei Arschin getrennt, so daß es dem Besucher nicht nur schwierig war, den Gefangenen etwas zu geben, sondern sogar sie zu sehen. Ebenso schwierig war es, von einer Gruppe zur andern zu sprechen. Man mußte, um sich verständlich zu machen, aus Leibeskräften schreien. Da sich aber jeder verständlich machen wollte und eine Stimme die andere übertönte, so war jeder gezwungen, noch lauter als die andern zu brüllen. Daher kam der merkwürdige Lärm, der Nechludoff beim Eintritt in den Saal aufgefallen war.
    Die einzelnen Worte zu verstehen, daran war nicht zu denken. Nur an den Gesichtern konnte man die Gegenstände, von denen die Rede war, und die Beziehungen, die zwischen den Gefangenen und ihren Besuchern bestanden, erraten.
    Ganz in Nechludoffs Nähe stand eine kleine alte Frau mit einem Taschentuch auf dem Kopf, die sich an das Gitter drängte und einem jungen Manne, einem Sträfling mit halbrasiertem Kopfe, etwas zurief; der junge Mann zog die Stirne kraus und schien mit größter Aufmerksamkeit zuzuhören. Dann kam der zerlumpte Mann, der vorhin die Menge vor der Thür so belustigt hatte; er sprach mit einem Freunde, machte heftige Bewegungen, schrie und lachte. Neben ihm sah Nechludoff eine saubergekleidete Frau auf der Erde sitzen, die ein Kind auf den Armen hielt und weinte und schluchzte, ohne auch nur die Kraft zu haben, die Augen auf den Sträfling zu richten,

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