Auferstehung 2. Band (German Edition)
Hollunderbusch. Der Gesang dieses Vogels lenkte seine Gedanken auf die Musik der Tochter des Direktors, und er dachte an den Direktor selbst und an die Maslow. Er sah wieder, wie ihre Lippen zitterten, während sie zu ihm sagte: »Sie müssen mich verlassen!« Plötzlich hatte er die Empfindung, der Deutsche, sein Verwalter, fiele in den Froschteich. Er fühlte, er hätte die Pflicht, ihn herauszufischen; doch statt dessen war er plötzlich die Maslow geworden und rief: »Ich bin eine Zuchthäuslerin, und du bist ein Fürst!«
Er schüttelte sich, erhob den Kopf und fragte sich: »Ist das, was ich thue, gut oder schlecht? Ah bah, das werde ich morgen früh erfahren!«
Dann schlief er endlich ein.
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Am nächsten Morgen erwachte Nechludoff erst um neun Uhr.
Der junge Kommis brachte ihm seine Stiefel, stellte einen Krug frischen und klaren Quellwassers neben sein Bett und teilte ihm mit, daß die Bauern sich bereits versammelten. Nechludoff sprang aus dem Bett, und die Ereignisse des vorigen Tages kamen ihm wieder in den Sinn. Während er sich ankleidete, freute er sich der Handlung, die er vollführen wollte, und in seine Freude mischte sich unwillkürlich ein gewisser Stolz. Das Wetter hatte sich in der Nacht verändert, ein leiser, feiner und warmer Regen fiel seit dem Morgen und heftete seine Tropfen an die Blätter und Gräser. Nechludoff sah, wie sich die Bauern auf dem Rasen versammelten. Einer nach dem andern kamen sie, grüßten sich, stellten sich im Kreise auf und plauderten, sich auf ihre Stücke stützend.
Der Verwalter, ein dicker, vierschrötiger Mann, der einen kurzen Rock mit grünem Kragen und ungeheuren Knöpfen trug, trat in das Zimmer. Er sagte zu Nechludoff, es wären alle versammelt, doch man könne noch warten. Dann fragte er ihn, was er zum Frühstück lieber nehmen wolle, Kaffee oder Thee.
»Nein, ich danke, wir wollen lieber das Geschäft in Ordnung bringen,« versetzte Nechludoff. Er empfand ein ihm noch ungewohnteres Gefühl, als am vorigen Abend, ein Gemisch der Schüchternheit und Scham, wenn er an seine Unterredung mit den Bauern dachte.
Er schickte sich an, den innigsten Wunsch der Bauern zu erfüllen, einen Wunsch, dessen Verwirklichung sie nicht einmal zu träumen wagten. Er wollte ihnen alle Aecker des Dorfes zu niedrigen Preisen überlassen und ihnen diese kostbare Wohlthat anbieten. Trotzdem verspürte er, ohne daß er recht wußte, warum, eine gewisse Verlegenheit. Als er sich den Bauern genähert hatte und sah, wie sie alle vor ihm die Mützen abrissen, und ihre blonden, schwarzen, grauen, lockigen und kahlen Köpfe entblößten, wurde seine Verwirrung so groß, daß er längere Zeit nicht sprechen konnte. Das peinliche Schweigen wurde endlich von dem Verwalter unterbrochen, der zu den Bauern sagte:
»Hört, der Fürst will euch Gutes thun, er will euch die Aecker abtreten, obwohl ihr es nicht verdient,«
»Wie sollten wir es nicht verdienen, Basil Karlitsch? arbeiten wir nicht für dich?« versetzte ein kleiner rothaariger Bauer. »Wir waren mit der seligen Fürstin sehr zufrieden – der Herr schenke ihr die ewige Ruhe – und der junge Fürst hat, wie wir sehen, die Gnade, uns auch nicht zu verlassen.«
»Wir haben hohe Achtung vor der Herrschaft, aber das Leben ist hart,« versetzte ein anderer Bauer, ein Mann mit dickem Gesicht und langem Bart.
»Ich habe euch zusammenberufen, um euch mitzuteilen, daß ich euch, wenn ihr wollt, alle meine Aecker abtrete,« erklärte Nechludoff.
Die Bauern blieben stumm, als ob sie die Worte des »Barin« nicht verstanden hätten, bis sich einer von ihnen endlich zu der Frage erkühnte:
»Und in welcher Weise wollen Sie uns, bitte, die Aecker abtreten?«
»Ich möchte sie euch vermieten, damit ihr sie billig bekommt und daraus Nutzen ziehen könnt.«
»Ein gutes Geschäft!« sagte ein alter Mann.
»Wenn wir den Preis nur erschwingen können,« meinte ein anderer.
»Das ist leicht gesagt, aber zum Bezahlen braucht man Geld,« ließ sich eine andere Stimme vernehmen.
»Das ist eure Schuld, wenn ihr keins habt,« erklärte der Deutsche. »Ihr braucht nur zu arbeiten und euer Geld zu behalten.«
»Sie haben leicht reden, aber wir können nicht mehr thun, als wir thun.«
So ging ein unerwarteter und unnützer Schwall von Worten weiter, wobei jeder ohne Zweck und selbst ohne zu wissen, warum, sprach. Nechludoff versuchte ungeduldig die Unterredung auf den Gegenstand zurückzuführen, den er auf dem Herzen hatte, und
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