Auferstehung 2. Band (German Edition)
zur Seite und ließ ihn mit aufgesperrten Mäulern vorüber. Doch auf der Straße bemerkte er zwei barfüßige kleine Jungen, die hinter ihm herliefen. Der eine, der ältere, trug ein schmutziges Hemd. Nechludoff wandte sich nach ihnen um, und der Kleine mit dem weißen Hemd fragte ihn:
»Wo gehst du denn jetzt hin?«
»Ich gehe zu Matrena Tscharina,« antwortete Nechludoff; »kennt ihr sie?«
Der kleinste der beiden Jungen fing an zu lachen, doch der andere erwiderte sehr ernsthaft:
»Was für eine Matrena; ist sie alt?«
»Ja, eine Alte!«
»Dann wird es sicher die Semenitscha sein. Das ist am andern Ende des Dorfes, wir werden dich hinführen, nicht wahr, Fedka, wir werden ihn hinführen?«
»Und die Pferde?«
»Ah bah, das thut nichts!«
Fedka willigte ein, und alle drei gingen die lange Dorfstraße hinauf.
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Nechludoff fühlte sich sehr behaglich bei den beiden Jungen, die ihn übrigens den ganzen Weg mit ihrem Geschwätz erheiterten. Der kleinere, das Kind im rosa Hemde, lachte nicht mehr und sprach ebenso ernst und verständig, wie sein Gefährte.
»Na, wer ist denn der Aermste im Dorfe?« fragte Nechludoff.
»Wer Aermste? Michael ist arm, und Semen Makaroff ist arm, aber Martha ist doch noch ärmer.«
»Aber Anissja ist doch noch ärmer; Anissja hat nicht einmal eine Kuh, sie bettelt.«
»Das ist wahr, daß sie keine Kuh hat, aber bei ihr sind nur drei, und bei Martha sind fünf.«
»Ja, aber Anissja ist Witwe!«
»Du sagst, Anissja ist Witwe; aber Martha ist doch eben so gut wie Witwe, sie hat doch auch keinen Mann.«
»Wo ist denn ihr Mann?« fragte Nechludoff.
»Der pflegt seine Läuse im Gefängnis,« versetzte das ältere Kind.
»Im vorigen Jahr,« unterbrach der Kleine, »hat er zwei Birken gefällt, da haben sie ihn ins Gefängnis gesteckt. Seit sechs Monaten sitzt er nun, sie hat drei Kinder, und die ernährt die Mutter.«
»Und wo wohnt sie?«
»Das ist gerade ihr Haus,« sagte der Bursche und zeigte mit dem Finger auf ein Haus, vor welchem ein ganz kleiner Junge mit weißem Kopfe auf krummen Beinen mühselig auf- und abging.
»Wanja, du Taugenichts, willst du wohl schnell hereinkommen?« rief vom Hause her eine noch junge Frau, die einen so schmutzigen Rock und ein eben solches Hemd trug, daß man hätte glauben können, beides wäre mit Asche überschüttet. Sie stürzte ängstlich nach der Straße, ergriff ihr Kind und trug es ins Haus.
»Na, und Matrena? ist die auch arm?« fragte Nechludoff.
»Wie soll die denn arm sein? die verkauft ja Schnaps,« versetzte der kleine Junge in dem rosa Hemd in entschiedenem Tone.
Vor Matrenas Thür nahm Nechludoff von seinen beiden Begleitern Abschied. Das Haus der alten Frau war klein, und enthielt nur ein einziges Zimmer. Als Nechludoff eintrat, war Matrena eben im Begriff, mit Hilfe ihrer ältesten Enkelin alles in Ordnung zu bringen. Zwei andere Kinder kamen, als sie den Fremden bemerkten, aus dem Winkel hervor und stellten sich vor die Thür.
»›Was wollen Sie?« fragte das alte Weib mit scharfer Stimme.
»Ich bin ... aus der Stadt und habe ... mit Ihnen zu sprechen.«
Ohne zu antworten, betrachtete ihn die Alte mit ihren kleinen Augen. Plötzlich aber veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.
»Ach, du bist's, mein Lämmchen! Und ich, altes Tier, erkannte dich nicht und sagte mir, das ist sicher ein Wanderer, der mich um etwas bitten will! Verzeihung, im Namen Christi!«
Sie sprach mit einschmeichelnder Flötenstimme.
»Könnte ich nicht ein paar Worte mit Ihnen allein sprechen?« fragte Nechludoff und deutete mit den Augen auf die offen gebliebene Thür, in der die Kinder standen, und in der eben ein mageres junges Weib erschienen war, das auf ihren Armen ein in alte Lumpen gekleidetes Kind von wahrhaft furchtbarem Aussehen trug.
»Was habt ihr hier zu glotzen? Wartet, ich werde gleich meinen Stock holen!« rief Matrena, sich zur Thür wendend. »Verschwindet schleunigst und macht die Thür zu!«
Die drei Kinder entflohen. Auch die junge Frau entfernte sich und schloß die Thür.
»Und ich fragte mich, wer da wäre! Es war mein junger »Barin« selbst, mein Goldvogel, mein Juwel! Setz' dich, Exzellenz, setz' dich da auf die Bank,« fuhr sie fort, nachdem sie die bezeichnete Bank sorgfältig abgewischt. »Und ich dachte, der Teufel wolle mich quälen, und nun ist es mein »Barin«, mein Wohlthäter, mein Ernährer! Verzeihe mir, das Alter macht mich blind!«
Nechludoff setzte sich, während die Alte vor ihm
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