Auferstehung 2. Band (German Edition)
Berufung verworfen werden sollte, das Gnadengesuch vorzulegen, wie es ihm der Advokat geraten hatte. Da Nechludoff noch immer auf seiner Absicht beharrte, ihr überallhin, selbst nach Sibirien zu folgen, so war er entschlossen, diese vierzehntägige Wartezeit zu benutzen, um seine verschiedenen Besitzungen eine nach der andern zu besuchen und ein für allemal Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen. Zuerst begab er sich nach Kuzminskoja. Das war von allen seinen Besitzungen die nächste und auch die bedeutendste, die ihm das größte Einkommen brachte. Hier hatte er in seiner Jugend gelebt und war später zu wiederholten Malen hierher zurückgekehrt.
Gegen Mittag kam er nach Kuzminskoja. Seine allgemeine Lebensauffassung hatte sich so sehr vereinfacht, daß er nicht einmal daran gedacht hatte, seinem Verwalter, einem Deutschen, zu telegraphieren, um ihm seinen Besuch anzukündigen. Als er aus dem Waggon stieg, hatte er einen Wagen genommen, um sich nach seiner Besitzung fahren zu lassen. Der Kutscher, ein junger Bauer, sprach frei von der Leber weg über den Verwalter von Kuzminskoja, ohne zu ahnen, daß er mit dem Gutsherrn zu thun hatte.
»Er pflegt sich gut, dieser verschlagene Deutsche!« sagte er, sich auf seinem Bocke umdrehend. »Er hat sich eine Troika mit prächtigen Pferden geleistet und fährt mit seiner Alten spazieren, wo es ihm gut dünkt! Im Winter hatte er zu Weihnachten einen schönen, aufgeputzten Baum, wie man im ganzen Gouvernement keinen zweiten findet. Ach, er hat Geld zusammengescharrt, der Kerl! Und warum auch nicht? Er kann ja alles thun! Man sagt, er habe sich eine Besitzung gekauft!«
Nechludoff war es gleichgültig, wie sein Verwalter sein Gut leitete; aber trotzdem machte, die Erzählung des Kutschers einen peinlichen Eindruck auf ihn, der erst verschwand, als er in Kuzminskoja ankam und sich mit der Regelung seiner Angelegenheiten zu befassen begann. Die Prüfung der Gutsregister und die Erklärungen eines Angestellten, der ihm naiverweise die Vorteile auseinandersetzte, die sich für die Besitzung daraus ergeben würden, wenn die Bauern sehr wenig eigenes Land besäßen, das alles bestärkte ihn in seinem Entschlusse, auf die Ausbeutung des Gutes für eigene Rechnung zu verzichten, und sein ganzes Land den Bauern abzutreten. Die Prüfung der Register und die Erklärungen des Kommis bewiesen ihm tatsächlich, daß genau so wie früher zwei Drittel seiner Felder von seinen Ackerknechten mit vorzüglichen Apparaten bebaut wurden, während ein Drittel die Bauern bewirtschafteten, denen man für den Morgen fünf Rubel gab. Mit anderen, Worten, gegen Bezahlung von fünf Rubeln verpflichtete sich der Bauer, einen Acker Land zu bebauen, zu säen, zu mähen, d, h. eine Arbeit zu verrichten, für die ein Ackerknecht wenigstens zehn Rubel pro Morgen verlangte. Außerdem ließ man die Bauern alles, was ihnen das Bureau lieferte, zu einem sehr teuren Preise bezahlen.
Das alles war nichts Neues für Nechludoff; aber es erschien ihm neu, und er wunderte sich, daß er so lange nicht verstanden hatte, wie unnatürlich ein solcher Zustand war. Deshalb bat er den Verwalter, schon am nächsten Morgen die Bauern von Kuzminskoja und den umliegenden Dörfern zusammenzuberufen, damit er ihnen selbst von seinem Entschlusse Mitteilung machen und sich über den Pachtzins mit ihnen verständigen konnte.
Entzückt von der Energie, mit der er den Beweisgründen des Verwalters widerstanden, verließ Nechludoff das Bureau und ging in der Nähe des Hauses spazieren. So vergingen die letzten Stunden des Tages. Als er den Plan der Rede entworfen, die er am Morgen an die Bauern halten wollte, kehrte er ins Haus zurück, nahm den Thee mit dem Verwalter ein und ging dann vollkommen ruhig, zufrieden und auf sich selbst stolz, für die Nacht in das Schlafzimmer hinauf, das man für ihn bestimmt hatte, und das stets für Logierbesuch bereit gehalten wurde.
Um den heftig auf ihn einstürmenden Gedanken zu entgehen, legte er sich in die frischen Betten und versuchte zu schlafen, indem er sich sagte, am nächsten Morgen würde er ruhigen Kopfes all die Probleme lösen, aus denen er jetzt keinen Ausweg fand. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Durch die halbgeöffneten Fenster drang mit der scharfen Nachtluft und den Strahlen des Mondes, das Quaken der Frösche zu ihm, in das sich im fernen Park der klagende Gesang der Nachtigall mischte; eine Nachtigall sang sogar ganz in seiner Nähe unter seinen Fenstern in einem
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