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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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stehen blieb und mit ihrer flötenden Stimme fortfuhr:
    »Die Jahre vergehen, Exzellenz! Aber schön warst du und bist noch schöner geworden!«
    »Also! ich wollte Sie um eine Auskunft bitten. Sie erinnern sich noch der Katuscha?«
    »Der Katharina, die im Schloß war? Wie sollte ich mich ihrer nicht erinnern? Sie war ja meine Nichte! Ach, über die habe ich viele Thränen vergossen! Ich weiß ja alles, was vorgefallen ist! He, Väterchen, wer hat denn nicht gegen Gott und den Zaren gesündigt? Die Jugend ist an allem schuld! Und andere hätten sie an deiner Stelle verlassen, während du sie noch beschenkt hast! Hundert Rubel hast du ihr gegeben! Ach! hätte sie auf mich gehört, dann wäre sie glücklich! Man hat sie fortgeschickt, und auf einer andern Stelle, die sie nachher bei einem Förster hatte, hat sie auch nicht bleiben wollen.«
    »Ich wollte Sie fragen, ob Sie von ihrem Kinde etwas gehört haben?«
    »Ob ich davon etwas gehört habe? Aber es ist ja hier geboren! Es war ein schöner, kleiner Junge! Aber quengelig! Keinen Augenblick ließ er seine Mutter in Ruhe! Da habe ich ihn denn taufen lassen, wie es recht ist, und ihn in ein Asyl geschickt. Was wäre wohl aus dem kleinen Engel geworden, wenn die Mutter gestorben wäre? Andere handeln anders; sie behalten das Kind, nähren es nicht, und Gott nimmt es wieder zu sich. Ich aber habe mir gesagt, nein, es ist besser, wenn er lebt!«
    »Und wissen Sie, unter welcher Nummer er eingetragen worden ist?«
    »Ja, eine Nummer war auch dabei. Doch der kleine Engel ist gleich gestorben, als er hinkam. Sie hat es mir gesagt: ›Ich war kaum ins Asyl gekommen, da starb er!‹«
    »Was für ein ›sie‹?«
    »Na, die Frau, die das Kind fortgebracht hat. Sie wohnte in Skorodno. Es war eine Frau, die allerlei solche Besorgungen machte. Sie hieß Melanja und ist jetzt tot. Wenn man ihr ein Kind brachte, dann behielt sie es bei sich, anstatt es gleich ins Asyl zu bringen. Dann nährte sie es, und wenn man ihr ein anderes brachte, behielt sie es auch. Sie wartete, bis sie drei oder vier zusammen hatte und brachte sie dann zusammen ins Asyl. Doch Katharinas Kind hat sie nicht länger als acht Tage behalten.«
    »Und wie sah es aus? War es ein schönes Kind?« fragte Nechludoff mit zitternder Stimme.
    »O, ein zu schönes Kind! es konnte nicht leben. Es war ganz dein Ebenbild,« fügte die Alte augenblinzelnd hinzu.
    »Und woran ist es gestorben? Jedenfalls hat man es schlecht genährt?«
    »He, Väterchen, wie hätte man's denn gut nähren sollen? Aber sie hat den Totenschein mitgebracht! 's ist alles in Ordnung!«
    Das war alles, was Nechludoff über sein Kind erfahren konnte.
     
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    Als Nechludoff der alten Matrena Lebewohl gesagt und sie verließ, bemerkte er die beiden Jungen, die auf ihn warteten. Andere Kinder hatten sich ihnen angeschlossen, und auch einige Weiber, unter denen er das unglückliche Geschöpf bemerkte, das den kleinen, blassen, in Lumpen gekleideten Jungen auf dem Arme trug.
    Nechludoff fragte, wer dieses Weib wäre.
    »Das ist die Anissja, von der ich dir erzählt habe,« sagte einer der Jungen. »Ich habe sie geholt, damit du sie dir ansiehst!«
    Nechludoff wandte sich zu Anissja.
    »Wie lebt Ihr und wovon?« fragte er.
    »Wovon ich lebe? Von dem, was man mir giebt!« versetzte Anissja und begann zu weinen.
    Nechludoff zog seine Brieftasche heraus und gab der armen Mutter zehn Rubel. Er war noch keine zehn Schritt gegangen, als ihn ein anderes Weib mit einem Kind an der Brust ansprach, dann eine alte Frau, und dann wieder eine.
    Alle sprachen von ihrem Elend und baten um eine Unterstützung. Nechludoff verteilte fünfzig Rubel, die er bei sich hatte, unter sie, und kehrte mit einem Gefühl tiefer Traurigkeit in das Bureau des Verwalters zurück. Dieser kam ihm mit seinem ewigen Lächeln entgegen und teilte ihm mit, die Bauern würden sich gegen Abend versammeln. Nechludoff ging inzwischen im Garten auf den Fußwegen spazieren, die das Gras überwuchert hatte und die die weißen und roten Blüten der Apfelbäume bedeckten. Er ging auf und nieder, und immer wieder trat ihm die Erinnerung an das Geschehene vor's Auge. Traurig dachte er bei sich: »Diese Unglücklichen kommen um, weil sie kein Land haben, das sie ernähren kann; weil ihnen die Erde fehlt, die sie selbst für andere bebauen, damit andere den Ertrag ins Ausland verkaufen und sich dafür Pelze, Stöcke, Kaleschen, Bronzen u. s. w. kaufen. Und wir, die Urheber dieses Uebels,

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