Auferstehung 3. Band (German Edition)
sie allerdings sehr streng, doch jetzt werden sie so gut wie nur möglich behandelt. Sie bekommen drei Gerichte zu essen, und darunter immer eine Fleischspeise: Cotelettes oder Hackfleisch. Sonntags geben wir ihnen sogar ein Gericht mehr, eine Zwischenspeise. Wollte Gott, daß sich ganz Rußland eines Tages so wie sie ernähren könnte.«
Wie alle alten Leute hielt der General, wenn er sich einmal in einen Gegenstand festgebissen hatte, nicht mehr auf und wiederholte sich immer aufs neue.
»Was die Bücher anbetrifft, so stellen wir ihnen religiöse Werke und auch alte Zeitungen zur Verfügung. Wir haben eine sehr gut ausgestattete Bibliothek. Aber sie lesen nur selten. Zuerst thun sie allerdings so, als wenn sie sich für die Lektüre interessierten; doch nach kurzer Zeit geben sie die Bücher zurück, ohne sie nur angerührt zu haben. Auch schreiben können sie; wir geben ihnen Schiefertafeln, damit sie zu ihrem Vergnügen und Zeitvertreib darauf schreiben können. Sie können schreiben, auslöschen und wieder schreiben, aber auch das thun sie nicht. Nein, nein, nur in der ersten Zeit denken sie daran, sich zu beschäftigen; später werden sie fett und immer bequemer und fühlloser.«
Nechludoff hörte diese heisere Stimme an, betrachtete die schwerfälligen Glieder, die unter den ungeheuren Augenbrauen angeschwollenen Lider, den kahlen Schädel, und das kleine weiße Kreuz im Knopfloch; und wieder erkannte er, wie unnütz es war, einem solchen Menschen irgend etwas zu erklären.
Er erhob sich und verbarg mit großer Mühe das Gemisch von Abscheu und Mitleid, das ihm dieser gräßliche Greis einflößte. Diesem dagegen war es ganz angenehm, dem Sohne seines alten Freundes die Leviten lesen zu können.
»Adieu, mein Kind,« fuhr er fort. »Nehmen Sie das, was ich Ihnen gesagt, nicht übel auf, ich sage es Ihnen aus reiner Freundschaft; doch kümmern Sie sich nicht um unsere Gefangenen. Bilden Sie sich nur nicht ein, daß es Unschuldige unter ihnen giebt! Alle, die einen wie die andern, sind elende Verbrecher, und wissen, was sie wert sind ... Und dann glauben Sie mir, treten Sie wieder in den Dienst, der Kaiser bedarf aller seiner Leute und das Vaterland auch. Denken Sie doch nur, was passieren würde, wenn ich und alle Leute unseres Standes nicht mehr dienen wollten.«
Nechludoff stieß einen Seufzer aus, verneigte sich sehr tief, schüttelte dem Greise die grobe, knochige Hand und verließ das Zimmer.
Als der General wieder allein war, rieb er sich lange Zeit die Hüften und schleppte sich wieder in den Salon, wo der junge Künstler während seiner Abwesenheit die vom Geiste Jeanne d'Arcs diktierte Antwort niedergeschrieben hatte. Der General las durch sein Lorgnon: »Sie erkennen einander an dem Lichte, das ihrem Astralkörper entströmt.«
»Ha,« rief der General, heftig mit den Augen blinzelnd; doch plötzlich erfaßte ihn ein Zweifel.
»Dieses Licht ist also nicht für alle gleich?« fragte er, legte von neuem seine Hand auf die des Künstlers und ließ sich neben dem kleinen Tische nieder.
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Als Nechludoff auf die Freitreppe getreten war, rief er seinen Kutscher.
»Ach, gnädiger Herr, wie man sich hier langweilt,« sagte der Kutscher, »ich wäre beinahe, ohne auf Sie zu warten, fortgefahren.«
»Ja, man langweilt sich hier wirklich,« versetzte Nechludoff seufzend, setzte sich in den Wagen und versuchte sich zu zerstreuen, indem er das Spiel der grauen Wolken am Himmel und die glitzernden Wasser der Newa bewunderte, die von Barken und Dampfschiffen durchfurcht wurde.
Am nächsten Tage, einem Mittwoch, sollte der Fall der Maslow untersucht werden, und Nechludoff kam frühzeitig in den Senat. Vor dem Eingangsthor traf er mit dem Advokaten zusammen, der auch eben angekommen war. Zusammen stiegen sie die ungeheure, feierliche Treppe bis zum zweiten Stock hinauf. Im ersten Zimmer, das sie betraten, nahm ihnen ein Nuntius ihre Stöcke und Mäntel ab und sagte ihnen, die vier Senatoren wären schon da, der letzte wäre eine Minute vor ihnen gekommen. Fajnitzin, der Frack und weiße Kravatte trug, ließ Nechludoff in das Nebenzimmer treten, an dessen Wänden große Schränke von etwas außergewöhnlicher Form standen. Ein Greis von patriarchalischem Aussehen befand sich dort in diesem Augenblick, ein großer Mann mit weißen Haaren; zwei Diener halfen ihm ehrfurchtsvoll den Mantel ausziehen, dann wandte er sich einem der Schränke zu, in dem Nechludoff ihn plötzlich verschwinden
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