Auferstehung 3. Band (German Edition)
Seelen erkennen sich,« und hatte schon das folgende Wort zu diktieren angefangen, als sie plötzlich innehielt. Sie hatte von dem folgenden Wort bereits die ersten Buchstaben, ein p, ein o und ein s diktiert. Thatsächlich hatte sie innegehalten, weil der General wünschte, der folgende Buchstabe solle ein l werden, während der Künstler wollte, es würde ein v. Der General wünschte, Jeanne d'Arc solle sagen, die Seelen erkennen sich nach ( posl ) ihrer Reinigung, der Künstler dagegen wollte Jeanne d'Arc sagen lassen, die Seelen erkennten sich nach dem Lichte ( po svitu ), das ihnen entströmte.
Der General zog mit mürrischer Miene seine ungeheuren weißen Augenbrauen zusammen, betrachtete starr seine Hände und dachte noch immer, der Tisch würde sich entschließen, ein l zu schreiben; der Künstler dagegen, der das Gesicht der Ecke des Zimmers zuwandte, machte mechanisch mit seinen Lippen die zur Aussprache des Buchstabens v erforderliche Bewegung. Inzwischen übergab ein Soldat, der die Stelle des Kammerdieners bei dem alten General vertrat, dem letzteren Nechludoffs Karte. Der General, dem es sehr unangenehm war, gestört zu werden, zog die Brauen noch stärker zusammen; setzte dann nach einer minutenlangen Pause sein Lorgnon auf die Nase, las die Karte, die er mit ausgestreckten Armen hielt, erhob sich mit schmerzlicher Anstrengung, rieb sich lange die Lenden und Beine und sagte dann:
»Laß ihn in mein Kabinett treten.«
»Ew. Excellenz brauchen sich nicht zu beunruhigen, ich werde die Sache allein zu Ende bringen; ich fühle, wie das Fluidum wiederkehrt.«
»Es ist gut, bringen Sie es allein zu Ende,« versetzte der General in seinem strengen Tone und ging, mühselig seine alten, angeschwollenen Beine nachschleppend, in sein Kabinett.
»Freue mich, Sie zu sehen,« sagte er zu Nechludoff und deutete auf einen an seinem Schreibtisch stehenden Stuhl. »Sind Sie schon lange in St. Petersburg?«
Nechludoff versetzte, er wäre eben angekommen.
»Und der Fürstin, Ihrer Mutter, geht es noch immer gut?«
»Meine Mutter ist tot, Excellenz.«
»Verzeihen Sie, ich bin untröstlich. Wissen Sie, daß ich mit Ihrem seligen Vater zusammen gedient habe? Wir waren Freunde, Brüder. Und Sie, sind Sie noch im Dienst?«
»Nein, augenblicklich nicht.«
Der General schüttelte mißbilligend den Kopf.
»Ich habe eine Bitte an Sie zu richten, Herr General,« fuhr Nechludoff fort.
»Schön, worin kann ich Ihnen dienen?«
»Wenn meine Bitte Ihnen nicht annehmbar erscheinen sollte, so bitte ich jetzt schon um Entschuldigung; doch ich glaubte mich verpflichtet, sie vorzutragen.«
»Na, was wünschen Sie denn?«
»Unter den Ihrer Obhut anvertrauten Gefangenen befindet sich ein gewisser Gurkewitsch; seine Mutter bittet um die Erlaubnis, ihn sprechen und, wenn das unmöglich sein sollte, ihm doch wenigstens Bücher schicken zu dürfen.«
Der General hatte diese Bitte ohne das geringste Zeichen von Zustimmung oder Unzufriedenheit angehört und sich darauf beschränkt, den Kopf zu neigen und eine nachdenkliche Haltung anzunehmen. Thatsächlich dachte er aber gar nicht nach und interessierte sich für die Worte Nechludoffs absolut nicht, denn er wußte im voraus, daß das Reglement die Erlaubnis nicht zuließ. Deshalb hörte er nur aus Höflichkeit zu und erwiderte:
»Sehen Sie, das alles hängt nicht von mir ab. Was die Besuche anbetrifft, so werden die Bedingungen derselben durch ein kaiserliches Dekret geregelt. Was dagegen die Bücher anbelangt, so haben wir hier eine Bibliothek, und die Gefangenen haben das Recht, Bücher aus derselben zu entnehmen.«
»Ja, aber dieser Gurkewitsch möchte wissenschaftliche Werke haben und sich beschäftigen.«
»Glauben Sie doch das nicht, er will sich gar nicht beschäftigen; nur aus Insubordination verlangt er die Bücher.«
»Aber diese Unglücklichen müssen doch in ihrer traurigen Lage den Wunsch hegen, sich zu beschäftigen,« sagte Nechludoff.
»Sie beklagen sich stets,« sagte der General; »wir kennen sie.«
Er sprach immer von »ihnen«, wie von einer ganz besonderen Menschenrasse.
»Und tatsächlich haben sie hier Bequemlichkeiten, wie Sie sie in anderen Festungen vergeblich suchen würden,« fuhr er fort.
Darauf begann er, diese Bequemlichkeiten ausführlich zu beschreiben, und wenn man ihn hörte, konnte man glauben, die Gefangenen würden nur zu dem Zweck in die Festung eingesperrt, um ihnen einen angenehmen Aufenthalt zu verschaffen.
»Früher behandelte man
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