Auferstehung 3. Band (German Edition)
annullieren zu lassen; er beobachtete ferner, daß Selenin, der gewöhnlich so kühl war, die entgegengesetzte These mit gleicher Wärme aufrecht erhielt; ja, er glaubte sogar, bei dieser Wärme des Staatsanwalts eine gewisse Feindseligkeit Wolff gegenüber zu bemerken, der schließlich wohl einen ähnlichen Eindruck empfangen mußte, denn bei einer Bemerkung Selenins zitterte er, errötete und erwiderte kein Wort mehr.
Nachdem die Diskussion beendet war, zogen sich die Senatoren zur Beratung zurück. Der Nuntius machte Fajnitzin darauf aufmerksam, daß der Fall der Maslow in einigen Augenblicken zur Verhandlung gelangen würde.
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Sobald die vier Senatoren in ihrem Beratungszimmer Platz genommen hatten, begann Wolff mit vieler Wärme die Gründe auseinanderzusetzen, weshalb man das gegen den Zeitungsredakteur gefällte Urteil kassieren müsse.
Der Präsident, ein schon im allgemeinen wenig wohlwollender Mann, war an diesem Tage ganz besonders schlecht aufgelegt. Schon während der Fall in öffentlicher Sitzung verhandelt wurde, hatte er sich seine feste Meinung gebildet und blieb jetzt in seine Gedanken versunken, ohne auf Wolff zu hören. Seine Gedanken wandten sich fortwährend der Thatsache zu, daß er am vorigen Tage in seinen Memoiren erzählt, wie Weljanoff und nicht er zu einem Posten ernannt worden war, um den er sich seit langer Zeit beworben hatte. Dieser Präsident Nikitin war im tiefsten Innern davon überzeugt, daß seine Meinung über die verschiedenen hohen Beamten, die kennen zu lernen er Gelegenheit gehabt, ein höchst wichtiges Dokument für die Geschichte bilden würde. In dem Kapitel, das er am vorigen Tage geschrieben, beurteilte er mit äußerster Strenge das Verhalten einiger dieser hohen Beamten, die ihn, wie er sich ausdrückte, verhindert hatten, Rußland vor dem Untergang zu retten, was einfach sagen wollte, sie hatten ihn verhindert, ein höheres Gehalt zu erheben; jetzt fragte er sich, ob er sich auch klar genug ausgedrückt, damit die Nachwelt das alles einmal von einem ganz neuen Gesichtspunkte aus beurteilen konnte.
»Gewiß, gewiß,« gab er Wolff zur Antwort, wenn dieser sich an ihn zu wenden schien, hörte aber nicht ein Wort von dem, was jener sagte.
Auch Be hörte nichts von dem, was Wolff sprach. Mit vertiefter Miene zeichnete er Wappen auf ein vor ihm liegendes Papier. Dieser Be war ein Liberaler der alten Klasse. Noch immer hegte und pflegte er die Tradition der Schule von 1860, und nur seine politischen Meinungen ließen ihn von seiner Unparteilichkeit abweichen. So wollte er auch in dem Verleumdungsfalle nichts weiter sehen, als einen Angriff auf die Freiheit der Presse. Als Wolff zu sprechen aufgehört, erhob der Greis einen Augenblick den Kopf, setzte seine Ansicht in einigen klaren Worten auseinander, senkte seinen weißen Kopf von neuem und fing wieder an, Wappen zu zeichnen.
Skorowodnikoff, der Wolff gegenüber saß und die ganze Zeit damit zubrachte, seine Schnurrbarthaare in den Mund zu stecken, unterbrach sich einen Augenblick bei dieser Beschäftigung und erklärte, in Ermanglung eines jeglichen Formfehlers erscheine ihm das Urteil zur Kassation nicht geeignet. Der Präsident stimmte dieser Ansicht bei, und das Urteil wurde infolgedessen aufrecht erhalten. Wolff war wütend, um so mehr, als er aus mehreren Anspielungen bei seinen Kollegen, wie beim Staatsanwalt Zweifel an seiner Uneigennützigkeit herausgemerkt hatte. Doch als Mann comme il faut verstand er es, seine schlechte Laune zu verbergen, nahm sofort ein anderes Aktenstück zur Hand und fing an, die auf den Fall Maslow bezüglichen Dokumente vorzulesen. Seine drei Kollegen klingelten und bestellten sich Thee und unterhielten sich dann über ein Ereignis, das sich mit dem Duell Kamensky in die Aufmerksamkeit von ganz Petersburg teilte. Ein höchst bedeutender Beamter, Abteilungschef in einem Ministerium, war unter der Anklage eines Sittlichkeitsverbrechens verhaftet worden.
»Gräßlich!« sagte Be in einem Tone des Ekels.
»Was finden Sie denn daran so gräßlich?« fragte Skoworodnikoff, während er mit der Zunge die Cigarette befeuchtete, die er sich eben gewickelt hatte, »Ich habe in diesen Tagen eine Studie eines deutschen Schriftstellers gelesen, der verlangt, die Ehe eines Mannes mit einem anderen Manne solle als gesetzlich angesehen werden.«
»Nicht möglich?!« rief Be.
»Ich werde Ihnen den Artikel nächstens mitbringen,« versetzte Skoworodnikoff und zitierte ohne Stocken
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