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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ganze Sätze aus dem Artikel, dessen Titel, Datum und Erscheinungsort er außerdem nannte.
    »Man sagt, er solle irgendwo nach Sibirien als Gouverneur geschickt werden,« sagte Nikitin.
    »Das wäre der Gipfel! Ich sehe schon, wie der Ex-Priester ihm mit seinen ganzen Klerus entgegenzieht!« rief Skoworodnikoff, stieß einige Züge aus seiner Cigarette und fing wieder an, seine Barthaare zu kauen.
    Jetzt trat der Nuntius in das Beratungszimmer und sagte den Senatoren, der Advokat Fajnitzin wünsche der Verhandlung über die Berufung der Maslow beizuwohnen.
    »Diese Sache Maslow ist ein ganzer Roman,« sagte Wolff und erzählte seinen Kollegen, was er von dem Verhältnis Nechludoffs zur Maslow wußte.
    Die Senatoren, die Eile hatten, fortzukommen, hätten diese Angelegenheit viel lieber unter sich, im Handumdrehen, erledigt, doch das Ersuchen des Advokaten konnte anstandshalber nicht zurückgewiesen werden; sie entschlossen sich daher, ihr Beratungszimmer zu verlassen und in den öffentlichen Sitzungssaal zurückzukehren.
    Wieder entwickelte Wolff mit seiner Flötenstimme die Annullierungsgründe des Urteils; wieder that er es mit offenkundiger Parteilichkeit und ließ dabei seinen Wunsch durchblicken, das Urteil möge kassiert werden.
    »Haben Sie noch etwas zu bemerken?« fragte der Präsident, sich zu Fajnitzin wendend.
    Fajnitzin erhob sich, reckte sich in seiner ausgeschnittenen Weste auf und begann, Punkt für Punkt mit bemerkenswerter Klarheit und Schärfe zu beweisen, daß die Schwurgerichtsverhandlung sechs, dem Gesetze zuwiderlaufende Punkte ergeben habe; dann erlaubte er sich, der Sache selbst mit eigenen Worten zu Leibe zu gehen, um die Zusammenhangslosigkeit und augenscheinliche Ungerechtigkeit des Urteils des Schwurgerichtshofes zu beweisen. Nach dieser in gleichzeitig ehrerbietigem und festem Tone gesprochenen Rede schien die Annullierung des Urteils unvermeidlich, und Nechludoff war um so mehr überzeugt, er werde seine Sache gewinnen, als ihm der Advokat beim Sprechen befriedigt zugelächelt hatte. Doch ein Blick auf das Gesicht der Senatoren bewies ihm, daß Fajnitzin nur allein lächelte und entzückt war. Die Senatoren und der Staatsanwalt lächelten keineswegs und waren durchaus nicht entzückt; sie machten das gelangweilte Gesicht von Männern, die unnütz ihre Zeit verloren, und alle schienen dem Advokaten zu sagen: »Sprich du nur immerhin! wir haben noch ganz andere wie dich gehört!«
    Sobald Fajnitzin mit Sprechen aufgehört, erteilte der Präsident dem Staatsanwalt das Wort; dieser aber beschränkte sich auf die Erklärung, die verschiedenen, angeführten Anullierungsgründe wären nicht wichtig und das Urteil müsse bestehen bleiben; darauf erhoben sich die Senatoren und gingen in ihr Beratungszimmer.
    Hier teilten sich die Ansichten von neuem. Wolff war für die Annullierung; Be, der der einzige war, der sich die Natur des Falles klargelegt, sprach in demselben Sinne und entwarf seinen Kollegen ein treffendes Bild von der mangelhaften Intelligenz der Geschworenen und der Nachlässigkeit der Richter. Nikitin dagegen, der stets Anhänger des strengen Gesetzes war, stimmte gegen die Annullierung. Alles hing daher von Skoworodnikoffs Stimme ab. Dieser erklärte sich dagegen, und zwar nur, weil ihn der Entschluß Nechludoffs, sich aus Pflichtgefühl mit der Maslow zu verheiraten, im höchsten Grade empört hatte.
    Dieser Skoworodnikoff war Materialist und Darwinianer; jede Kundgebung des Pflichtgefühls und noch mehr des religiösen Gefühls wirkte auf ihn nicht nur wie eine empörende Albernheit, sondern auch wie eine persönliche Beleidigung. Darum erklärte er, ohne sich im Kauen seiner Barthaare zu unterbrechen, er sähe in der Sache nichts Gesetzwidriges und die zur Kassation angeführten Gründe wären unzureichend.
    »Aber das ist ja entsetzlich!« rief Nechludoff, nach der Verlesung des Urteils auf den Advokaten zugehend. »Eine offenkundig ungerechte Verurteilung! Und diese Leute bestätigen sie unter dem Vorwande, sie enthielte keinen Formfehler.«
    »Das ist bei ihnen Voreingenommenheit!« versetzte der Advokat.
    »Und auch Selenin war gegen die Annullierung! Das ist entsetzlich,« wiederholte Nechludoff. »Was jetzt thun?«
    »Ein Gnadengesuch einbringen! Reichen Sie es selbst ein, während Sie hier sind! Ich werde es Ihnen aufsetzen.«
    In diesem Augenblick trat der Senator Wolff mit allen seinen Kreuzen auf seiner Uniform in den Saal, näherte sich Nechludoff und sagte, seine

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