Auferstehung 3. Band (German Edition)
sah.
Indessen hatte Fajnitzin einen seiner Kollegen, der ebenfalls Frack und weiße Kravatte trug, bemerkt, lief auf ihn zu, und Nechludoff hatte volle Muße, die andern Personen die sich im Saale befanden, zu betrachten. Es waren etwa 15 Männer und zwei Damen anwesend, die eine jung, mit einem Lorgnon, die andere schon mit grauen Haaren. An diesem Tage sollte ein Preßbeleidigungsprozeß untersucht werden, daher dieser Zulauf eines Publikums, das sich gewöhnlich zu den Sitzungen des Kassationshofes nicht drängte.
Der Nuntius, ein schöner Mann mit rotem Gesicht, der eine imposante Uniform trug, näherte sich Fajnitzin, um ihn zu fragen, in welcher Angelegenheit er plädieren wolle. Während er die Antwort des Advokaten auf ein Papier notierte, öffnete sich die Thür des Schrankes, und Nechludoff sah den Greis mit dem patriarchalischen Aussehen heraustreten; derselbe trug aber jetzt nicht Jacket und graue Pantoffeln wie vorher, sondern hatte vielmehr seine Kleider gegen eine buntscheckige Uniform vertauscht, die ihm das Aussehen eines Riesenvogels gab. Diese Verkleidung mußte ihm übrigens peinlich sein, denn er verließ den Saal im Laufschritte.
»Das ist Be, ein respektabler Mann,« sagte der Advokat zu Nechludoff, und fing an, den Fall, der eben zur Verhandlung gelangte, zu erklären.
Kurz darauf wurde die Sitzung eröffnet, und mit dem übrigen Publikum trat auch Nechludoff in den Sitzungssaal, der weniger groß und einfacher ausgestattet als der des Schwurgerichtshofes, aber sonst in derselben Weise eingerichtet war. Dieselbe Trennung zwischen Publikum und Richter, dieselben Bilder an den Wänden; und als der Nuntius meldete: »Der Gerichtshof!« erhoben sich alle, um die Senatoren zu begrüßen, die sich in großer Uniform an den Tisch setzten und eine möglichst feierliche Miene annahmen.
Es waren vier Senatoren; zuerst Nikitin, ein großer, glattrasierter Mann mit dünnem Gesicht und stählernen Augen, der das Amt des Präsidenten versah; dann Wolff, der frisch rasiert war und seine schönen weißen Hände zeigte; dann Skoworodnikoff, ein kleiner, dicker und schwerfälliger alter Mann, dessen Gesicht von den Blattern ganz zerfressen war, und endlich Be, der Greis mit dem patriarchalischem Aussehen. Hinter den Senatoren traten der Aktuar und der Staatsanwalt auf die Estrade; der letztere ein noch junger, magerer Mann mit dunkler Gesichtsfarbe und tieftraurig blickenden Augen. Trotz des seltsamen Kostüms, das er trug, erkannte Nechludoff sofort in ihm einen seiner besten Freunde von der Universität.
»Heißt dieser Staatsanwalt nicht Selenin?« fragte er seinen Advokaten, der sich auf den für das Publikum bestimmten Bänken neben ihn gesetzt hatte.
»Ja, was weiter?«
»Ich kenne ihn genau, er ist ein bedeutender Mensch.«
»Und ein außergewöhnlich hervorragender Staatsanwalt, sehr thätig und bereits sehr einflußreich. An ihn hätten Sie sich wenden müssen,« sagte der Advokat.
»O, der wird einzig und allein nur nach seinem Gewissen handeln,« sagte Nechludoff, der sich an die hervorragenden Eigenschaften der Milde, Rechtlichkeit und vornehmen Gesinnung seines früheren Mitschülers erinnerte.
»Uebrigens wäre es jetzt auch zu spät,« erwiderte Fajnitzin und hörte wieder aufmerksam die weitere Diskussion des Falles mit an.
Auch Nechludoff hörte zu und suchte eifrig zu begreifen, was sich da vor ihm abspielte; doch von neuem wurde er daran dadurch verhindert, daß man, anstatt den eigentlichen Prozeß zu besprechen, die ganze Verhandlung auf die Nebenumstände leitete. Der Prozeß hatte einen Zeitungsartikel zur Grundlage, in welchem die Schwindeleien des Präsidenten einer Aktiengesellschaft aufgedeckt worden waren. Die Hauptfrage wäre gewesen, ob dieser Präsident seine Mandaten wirklich bestahl, und wie man in diesem Falle diesen Diebstählen ein Ende machen konnte. Man stritt aber einzig und allein um die Frage, ob der Zeitungsredakteur nach einem bestimmten Paragraphen das Recht hatte, den Artikel zu drucken und ob er, wenn er nicht das Recht hatte, durch die Drucklegung eine Beleidigung oder eine Verleumdung oder eine verleumderische Beleidigung begangen hatte.
Nur zweierlei fiel Nechludoff auf; er beobachtete zuerst, daß Wolff, der ihm einige Tage vorher erklärt hatte, der Senat beschäftige sich nur mit den in der Verhandlung begangenen Formfehlern, mit großer Wärme die den Prozeß selbst betreffenden Argumente anrief, um die Verurteilung des Zeitungsredakteurs
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