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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Reihe in der Nähe der »Schönheit«, Fedoffjas und eines Weibes in anderen Umständen, das nur mit großer Mühe vorwärts kam. Die Maslow ging schnell, sie trug ihre Reisetasche auf dem Rücken und blickte gleichzeitig ruhig und entschlossen vor sich hin. Nechludoff stieg aus dem Fiaker und näherte sich ihr, um mit ihr zu sprechen; doch ein Unteroffizier, der an der Spitze des Zuges marschierte, lief auf ihn zu und rief:
    »Es ist verboten, sich den Gefangenen zu nähern!«
    Als er dann Nechludoff erkannte, den im Gefängnis jeder kannte, fuhr er mit der Hand nach der Mütze und sagte in ehrerbietigem Tone:
    »Excellenz, es ist uns wirklich ausdrücklich verboten! Auf dem Bahnhof können Sie mit ihnen sprechen, aber hier ist es unmöglich!«
    Nechludoff trat zur Seite, befahl dem Kutscher, ihm zu folgen und begann neben dem Zuge auf dem Trottoir einherzugehen. Dieser war überall der Gegenstand einer lebhaften Aufmerksamkeit, die sich aus Furcht und Sympathie zusammensetzte. Aus den Wagen beugten sich Köpfe hervor und betrachteten eifrig das schreckliche Schauspiel. Einige traten näher und gaben Almosen, die die Aufseher des Zuges entgegennahmen. Andere folgten den Gefangenen wie hypnotisiert, so weit sie konnten.
     
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    Nechludoff ging ebenso schnell, wie die Gefangenen, und obwohl er leicht gekleidet war, wurde ihm die Hitze doch fortwährend qualvoller. Endlich hielt er es nicht mehr aus; nach viertelstündiger Wanderung ging er wieder zu seinem Wagen, stieg hinein und befahl dem Kutscher, vorzufahren. Doch im Wagen erschien ihm die Hitze noch unerträglicher. Er bemühte sich, an seine Unterredung vom vorigen Tage mit seinem Schwager zu denken, doch diese Erinnerung, die ihn noch vor wenig Stunden so heftig aufgeregt, vermochte ihn jetzt nicht mehr zu interessieren. Seine ganzen Gedanken waren dem schrecklichen Schauspiel zugewendet, dem er eben beigewohnt. Vor allem aber erstickte er vor Hitze.
    Auf einem kleinen Platze sah er im Schatten der Bäume zwei Gymnasiasten, die neben einem herumziehenden Eisverkäufer standen; der eine, der sein Glas bereits geleert, leckte gierig den kleinen Hornlöffel ab; der andere beobachtete die Bewegungen des Verkäufers, der eben das Glas, das er in der Hand hielt, mit gelbem Eis füllte.
    »Wissen Sie, wo man hier in der Nähe etwas trinken könnte?« fragte Nechludoff den Kutscher, denn er verspürte plötzlich einen gräßlichen Durst.
    »Zwei Schritt von hier ist ein Wirtshaus, ein sehr schönes Wirtshaus,« sagte der Kutscher, lenkte um eine Straßenecke und fuhr Nechludoff nach einem Hause, an dem ein großes Schild hing. Der Wirt, der in Hemdärmeln am Schenktisch stand, und zwei Kellner in schmutzigen Blusen betrachteten neugierig diesen unbekannten Gast und boten ihm dann ihre Dienste an. Nechludoff bat um Selterswasser und setzte sich in den Hintergrund der Gaststube an einen kleinen, mit einem fettigen Tischtuch belegten Tisch.
    Zwei Männer saßen an einem Nebentische und tranken Thee. Der eine war brünett und untersetzt, mit einem dicken, ganz mit schwarzen Haaren bedeckten Nacken, und sah Ignaz Nikophorowitsch ähnlich. Diese Aehnlichkeit erweckte in Nechludoff wieder die Erinnerung an die Unterredung vom vorigen Tage und an seinen Wunsch, seinen Schwager und seine Schwester noch einmal wiederzusehen. »Wie wär's, wenn ich hinginge?« sagte er sich. »Doch nein, ich würde den Zug verpassen. Es ist besser, ich schreibe einen Brief.« Er bat um eine Feder, Tinte und Papier und dachte, während er das frische und prickelnde Wasser in kleinen Schlucken trank, was er schreiben sollte. Doch seine Ideen verwirrten sich, ohne daß er einen Satz zu finden vermochte.
    »Liebe Natascha, ich kann dich nicht unter dem peinlichen Eindruck meiner gestrigen Unterredung mit Ignaz Nikophorowitsch verlassen,« begann er. Doch was sollte er dann weiter sagen? Sollte er für seine Worte vom vorigen Tage um Verzeihung bitten? Doch diese Worte waren der Ausdruck seines Denkens, und sein Schwager konnte glauben, er widerrufe. Und auch diese Manier, sich in seine Angelegenheiten zu mischen! Nein, es war ihm unmöglich, zu schreiben, und er fühlte wieder einmal, wie sein Haß gegen diesen Fremden neu erwachte, der außer stande war, ihn zu begreifen. Nechludoff steckte den angefangenen Brief in die Tasche, bezahlte und stieg wieder in den Fiaker, um sich dem Zuge anzuschließen.
    Die Hitze war so gräßlich, daß die Pflastersteine und die Mauern der Häuser einen

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