Auferstehung 3. Band (German Edition)
einem Eimer Wasser zurückkam, befahl der Polizeileutnant dem Wachmann, dem Gefangenen zu trinken zu geben. Der Polizist hob dem Unglücklichen von neuem den Kopf und bemühte sich, ihm das Wasser in den Mund zu gießen, doch der Sterbende weigerte sich, das Wasser zu trinken, und dieses floß über seinen Bart und machte ihm die Jacke und sein staubiges Hemd naß.
»Gieße ihm den Eimer über den Kopf!« befahl der Polizeileutnant.
Der Polizist nahm dem Gefangenen die Mütze ab und goß das Wasser auf seinen kahlen Schädel mit den spärlichen roten Haaren. Der Unglückliche riß entsetzt die Äugen auf, doch sein Körper blieb unbeweglich. Das mit Staub vermischte Wasser floß sein Gesicht hinunter; doch sein Mund stieß noch immer qualvolle Seufzer aus, und plötzlich schüttelte ihn ein heftiges Zittern vom Kopf bis zu den Füßen.
»Da ist gerade ein Fiaker! Setzt ihn hinein!« rief der Polizeileutnant und deutete auf Nechludoffs Wagen, »Heda! Du! Komm' mal näher!«
»Ich bin nicht frei,« versetzte der Kutscher.
»Es ist mein Fiaker,« erklärte Nechludoff; »doch Sie können ihn nehmen. Ich bezahle alles!« fügte er, zu dem Kutscher gewendet, hinzu.
»Na, dann los, aber fix!«
Der Polizist, der Portier und der Soldat hoben den Sterbenden hoch, trugen ihn in den Fiaker und setzten ihn auf die Kissen. Doch er war außer stande, sitzen zu bleiben; sein Kopf fiel nach hinten über und sein ganzer Körper rollte auf die Bank.
»Man lege ihn hin!« befahl der Polizeileutnant.
»Seien Ew. Gnaden nur unbesorgt; ich werde ihn schon so hinbringen,« erklärte der Polizist, setzte sich in den Wagen und packte den Gefangenen beim Arm, während der Soldat ihm die Beine ausstreckte. Der Polizeileutnant bemerkte auf dem Pflaster die Mütze des Gefangenen, hob sie auf und setzte sie ihm auf den nassen Kopf, der fortwährend von einer Schulter auf die andere fiel.
»Marsch!« kommandierte er.
Der Kutscher peitschte auf sein Pferd los und fuhr in Begleitung des Soldaten nach der Polizeiwache. Der Polizist versuchte im Wagen vergeblich, dem Gefangenen den Kopf aufzurichten, der stets wieder auf eine Schulter zurückfiel. Nechludoff folgte dem Wagen zu Fuß.
Sobald der Wagen vor der Thür der Polizeiwache hielt, umringten mehrere Polizisten den Gefangenen, der während der Fahrt gestorben war, und packten ihn bei den Armen und Beinen. Zehn Minuten später, als Nechludoff erschien, war man im Begriff, den Leichnam ins Lazarett zu schaffen. Das Lazarett war ein kleines, unsauberes Zimmer mit vier Betten; in zweien derselben lagen Kranke, ein Schwindsüchtiger und ein Mann mit verbundenem Kopf und Hals. Auf eins der beiden andern Betten legte man den Toten. Ein kleiner Mann mit glänzenden Augen und unaufhörlich beweglichen Brauen trat schnellen Schrittes an des Bett, betrachtete erst den Toten und dann Nechludoff und brach in lautes Lachen aus. Es war ein Wahnsinniger, den man bis zur Ueberführung in ein Irrenhaus hier untergebracht hatte.
»Sie wollen mir Furcht einjagen,« sagte er. »Aber nein, es wird ihnen nicht gelingen.«
Gleich darauf sah Nechludoff einen Polizeileutnant und einen Lazarettgehilfen eintreten. Der letztere näherte sich ebenfalls dem Bett, ergriff die gelbe, noch warme und weiche Hand des Toten, hob sie hoch und ließ sie wieder fallen.
»Der hat sein Teil,« erklärte er kopfschüttelnd, was ihn aber nicht hinderte, dem Reglement entsprechend, dem Toten die noch nasse Brust zu entblößen und aufmerksam das Ohr daran zu drücken. Alle schwiegen. Der Lazarettgehilfe richtete sich wieder auf, schüttelte wieder den Kopf und schloß die weit offenstehenden blauen Augen des Toten.
»Sie jagen mir keine Angst ein, nein, Sie jagen mir keine Angst ein,« wiederholte der Wahnsinnige während dieser ganzen Zeit, indem er an die Erde spuckte.
»Nun?« sagte der Polizeileutnant.
»Na, man muß ihn in die Totenkammer bringen,« erklärte der Lazarettgehilfe.
»Man bringe ihn in die Totenkammer!« befahl der Leutnant. »Und du komm' ins Bureau, um deinen Bericht abzustatten,« sagte er zu dem Soldaten, der bei dem seiner Obhut anvertrauten Gefangenen stehengeblieben war.
Vier Polizisten ergriffen den Toten und trugen ihn ins Erdgeschoß. Nechludoff wollte ihnen eben folgen, als der Irrsinnige ihn aufhielt.
»Nicht wahr, Sie sind nicht mit ihnen im Einverständnis? Na, dann geben Sie mir eine Cigarette!«
Nechludoff gab ihm eine Cigarette, und der Wahnsinnige begann, ihm alle Verfolgungen zu
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