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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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glühenden Hauch auszuströmen schienen. Als Nechludoff die Hand auf den lackierten Schlag des Wagens legte, hatte er die Empfindung einer richtigen Brandwunde.
    Das Pferd schleppte sich schwerfällig über das staubige Pflaster, der Kutscher schlummerte, und auch Nechludoff starrte, von der Hitze betäubt, ohne an etwas zu denken, vor sich hin. An einer Straßenecke bemerkte er plötzlich vor einem Thorweg eine Gruppe von Männern, unter denen ein Soldat des Zuges mit dem Gewehr im Arm stand. Er gab dem Kutscher ein Zeichen, anzuhalten und fragte den Portier des Hauses:
    »Was giebt's?«
    »Es ist einer der Gefangenen!«
    Nechludoff stieg vom Wagen und näherte sich der Gruppe. Auf den ungleichen Pflastersteinen, hart am Trottoir, lag, mit dem Kopf nach unten, ein Gefangener, ein kleiner Mann mit rotem Gesicht und rotem Bart. Auf den Rücken ausgestreckt, die Daumen weit ausgespreizt, hob sich ruckweise seine breite Brust; er seufzte und schien mit seinen unbeweglichen, blutunterlaufenen Augen den Himmel zu betrachten. Um ihn herum standen ein Polizist mit sorgenvoller Miene, ein Hausierer, ein Postillon, ein Ladenkommis, ein altes Weib mit einem Sonnenschirm und ein kleiner Junge mit einem leeren Korb.
    »Erst haben sie sie durch die Einsperrung schwach gemacht, und dann lassen sie sie in der Hitze marschieren,« sagte der Ladenkommis, sich zu Nechludoff wendend.
    »Er wird sicher sterben!« sagte das alte Weib mit klagender Stimme.
    »Schnell! Macht ihm die Brust frei!« schrie der Postillon.
    Mit seinen dicken, zitternden Fingern begann der Polizist, das Band abzuknöpfen, das das Hemd verschloß, so daß der adrige und rote Hals des Gefangenen freilag. Er war anscheinend bewegt und traurig, hielt es aber trotzdem für unbedingt erforderlich, die Anwesenden auszuschelten.
     
     
    »Vorwärts, weitergehen! Was macht ihr da? Ihr hindert ja, daß die Luft zu ihm kommt!«
    »Der Arzt ist verpflichtet, alle vor dem Abmarsch aus dem Gefängnis zu untersuchen, und die kranken Gefangenen müssen in die Wagen gesetzt werden, und nun zwingen sie sie, die Reise zu Fuß zu machen,« fuhr der Kommis fort, der sich freute, seine Kenntnis der Gefängnisordnung zeigen zu können.
    Nachdem der Polizist dem Gefangenen die Brust entblößt, richtete er sich wieder auf und ließ die Augen umherschweifen.
    »Weitergehen, sage ich euch! Das ist nicht eure Sache, ihr könnt nichts dazu thun,« sagte er, sich an den Soldaten wendend, als wenn er an dessen Zustimmung appellieren wollte; doch dieser blieb, seine Stiefel betrachtend, abseits stehen, und die Aufregung des Polizisten schien ihn vollständig kühl zu lassen.
    »Die, deren Sache es ist, thun ihre Pflicht nicht; steht es etwa im Gesetz, daß man Leute umkommen lassen soll?«
    »Jawohl, auch ein Gefangener ist ein Mensch,« sagten Stimmen in der immer zahlreicher werdenden Gruppe.
    »Richten Sie ihm den Kopf auf und geben Sie ihm Wasser,« sagte Nechludoff.
    »Ich habe schon Wasser holen lassen,« versetzte der Polizist, hob den Gefangenen am Arm hoch, und es gelang ihm mit Anstrengung, ihm den Kopf auf die Bordschwelle zu legen.
    »Was soll das heißen?« rief plötzlich eine gebieterische, rauhe Stimme, und man sah mit zorniger Miene einen Polizeileutnant in glänzender Uniform und hohen, noch glänzenderen Stiefeln herangestürmt kommen. »Weitergehen, aber schnell!« fuhr er, sich an die Menge wendend, fort, ehe er überhaupt noch sah, was eigentlich vorging.
    Als er den unglücklichen Gefangenen auf den Steinen liegen sah, machte er ein Zeichen mit dem Kopfe, als wollte er andeuten, er habe noch ganz andere Dinge gesehen, wandte sich dann an den Polizisten und fragte ihn, wie der Unfall passiert wäre.
    Der Polizist erzählte ihm, der Gefangene wäre beim Vorüberziehen des Trupps niedergestürzt, und der Offizier hätte den Befehl gegeben, ihn liegen zu lassen.
    »Na, dann muß man ihn zur Wache bringen! Man hole einen Fiaker!«
    »Sofort, sobald der Portier zurück ist,« sagte der Polizist und fuhr mit der Hand nach der Mütze.
    Inzwischen hatte der Kommis wieder von der Hitze zu sprechen angefangen.
    »Ist das deine Sache? Geh' deines Weges!« erklärte der Polizeileutnant und warf ihm einen so strengen Blick zu, daß der Kommis sofort schwieg.
    »Man muß ihm Wasser zu trinken geben,« wiederholte Nechludoff.
    Auch auf ihn warf der Polizeileutnant einen strengen Blick, doch da er einen gutgekleideten Mann erkannte, so wagte er nichts zu sagen. Als der Portier mit

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