Auferstehung der Toten
einer Lupe eine Illustrierte gelesen. Und ganz hinten im zweiten Raum, der sonst vollkommen leer gewesen ist, hat der Lorenz Antretter auf ihn gewartet.
Der Brenner hat ihn vom Sehen gekannt, aber noch nie mit ihm gesprochen. Der Lorenz ist ungefähr im Brenner seinem Alter gewesen. Aber zwei unterschiedlichere Typen hast du dir nicht vorstellen können.
«Warten Sie schon lange?» fragt der Brenner.
Der Lorenz nickt. Er ist so dünn gewesen, daß der Brenner sich gefragt hat, wie er überhaupt seinen Kopf halten kann.
«Nein. Zehn Minuten.»
Jetzt, entweder ist der Lorenz Kettenraucher gewesen, oder er ist sehr nervös, weil im Aschenbecher sind schon vier Zigarettenkippen gelegen. Und wenn er nervös war, ist er es dann wegen dem Brenner gewesen, oder ist er es überhaupt immer gewesen?
«Wie geht es Ihnen?» fragt der Brenner und setzt sich vis-a-vis vom Lorenz hin.
Jetzt hat der Lorenz schon zum zweitenmal diese Bewegung gemacht, und vielleicht ist es auch daran gelegen, daß der Brenner sich gefragt hat, wie der überhaupt seinen Kopf halten kann. Zuerst hat es angefangen wie ein Nicken, nur mit dem einen Unterschied, daß der Kopf dann nicht mehr in die Höhe gekommen ist. Und genau in dem Moment hat er sich dann immer seine blonden Locken aus der Stirn gestrichen, oder sind die schon mehr weiß gewesen, genau so dazwischen, daß man es nicht sagen kann.
Aber interessant. Beim nächstenmal nickt er wieder so, und wieder läßt er den Kopf unten. Also, irgendwie muß er seinen Kopf zwischendurch heimlich wieder hinauftun, weil wie könnte er sonst beim nächstenmal wieder von oben hinunternicken.
«Was kriegen wir?» fragt die Kellnerin Erni.
Der Lorenz hat aber schon ein Glas Sodawasser am Tisch stehen gehabt, jetzt ist klar gewesen, daß das «wir» nur dem Brenner gilt. Das ist immer gewesen, wenn die Erni nicht recht gewußt hat, ob sie einen duzen soll oder siezen, dann hat sie ihn so angeredet.
Ein paar Tage vorher hat sie den Brenner zum erstenmal mit diesem «wir» angeredet. Und der Brenner hat damals die Gelegenheit gleich ergriffen, weil er hat sich blöd gestellt und die Kellnerin gefragt, heißt das, daß du etwas mit mir mittrinkst. Da hat sie ein Achtel auf Kosten vom Brenner hinunterkippen müssen. Und vielleicht hat sie deshalb jetzt so frech gegrinst, wie sie sagt:
«Was kriegen wir?»
«Ein Bier», sagt der Brenner, obwohl, normalerweise hat der um die Zeit noch kein Bier getrunken.
«Danke, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben», sagt er zum Lorenz, und der macht wieder seinen halben Nicker und wischt sich seine Locken aus der Stirn und zieht an seiner Zigarette.
«Sie wissen ja, wieso ich mit Ihnen sprechen will.»
Wieder dem Lorenz sein halber Nicker.
«Haben Sie die Ermordeten eigentlich gut gekannt?»
«Nein danke», sagt der Lorenz.
«Und zu Ihrem Onkel haben Sie ja auch nicht das beste Verhältnis.»
Pause. Dann sagt der Lorenz langsam:
«Wieso fragen Sie das? Wenn Sie es ohnehin wissen.»
«Aber wieso sind Sie dann ausgerechnet am Abend des 21. Dezember bei ihm gewesen?»
Pause. Jetzt ist dem Brenner langsam gedämmert, daß die Medikamente aus der Nervenklinik den Lorenz nicht gerade schneller gemacht haben.
«Wie oft soll ich das eigentlich noch erklären?»
«Einmal noch», sagte der Brenner.
«Jedes Jahr bin ich am 21. Dezember bei meinem Onkel. Das ist mein Weihnachten.»
«Schon am 21.?»
«Ja. Weil am 23. ist für meinen Onkel Betriebsweihnachten, also Schischule. Am 22. Seilbahnen. Und am 24. ist Familie.»
«Wann ist Ihr Vater gestorben?»
«Das ist gewesen, da war er genau gleich alt wie ich jetzt, da ist er gestorben.»
Der Lorenz hat auf den Brenner ganz emotionslos gewirkt, das müssen auch die Medikamente gewesen sein, und deshalb fragt der Brenner ohne große Rücksicht weiter:
«Und woran ist er gestorben?»
«Weiß ich nicht.»
«Sie wollen nicht darüber reden?»
Der Lorenz macht wieder seinen halben Nicker und fischt sich die nächste Zigarette aus der Packung. Dann sagt er:
«Lungenkrebs.»
Sagt der Brenner:
«Wie alt sind Sie damals gewesen?»
Sagt der Lorenz:
«Dreizehn.»
Sagt der Brenner:
«Und wer ist dann Ihr Vormund gewesen?»
Sagt der Lorenz:
«Mein Onkel.»
Sagt der Brenner:
«Ist der Vergolder eigentlich Ihr Onkel väterlicherseits oder mütterlicherseits?»
Sagt der Lorenz:
«Beiderseits. Der ist mein Onkel beiderseits.»
Sagt der Brenner:
«Das müssen Sie mir aber jetzt erklären.»
Sagt der
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