Auferstehung der Toten
Männerseite, die ist überhaupt fast leer gewesen. Ein paar Buben und zwei, drei alte Männer, sonst nichts. Der Brenner ist hinten beim Eingang stehengeblieben, so wie es früher die Männer gern getan haben, weil die haben sich dann während der Predigt ins Wirtshaus davongeschlichen.
Aber wie dann die Messe angefangen hat, hat sich der Brenner in die hinterste, völlig leere Männerbank gekniet. Ihm ist noch aufgefallen, daß die Ministranten zwei Mädchen waren, also eigentlich gegen die Vorschrift, und daß der Priester, flankiert von den zwei Ministrantinnen, viel zu schnell aus der Sakristei herausgekommen ist. Das ist mehr so ein kleiner, quirliger Typ, der Zeller Pfarrer, und es hat wirklich ausgeschaut, also der ist mehr oder weniger aus der Sakristei herausgelaufen, daß du geglaubt hast, du hörst das Meßgewand rauschen, aber der hat das immer so gemacht.
Die Meßbesucher erheben sich, aber der Brenner steht nicht auf, sondern im Gegenteil, er duckt sich richtig in seine Bank hinein. Vielleicht kennst du das: halb sitzen, halb knien und den Kopf in den Händen vergraben. Und gleichzeitig natürlich mit dem Kopf ganz woanders, nur nicht in der Kirche.
Monatelang hat er alles gesammelt, die belanglosesten Fakten, alles gesammelt mit einer Gewissenhaftigkeit. Und jetzt hat er zum erstenmal etwas richtig Handfestes gehabt. Hat der Brenner auf einmal das falsche Alibi vom Vergolder mehr oder weniger in der Hand. Möchte man glauben, ein Erfolg. Aber nein, alles im Brenner wehrt sich dagegen, daß er das zu wichtig nimmt.
Vielleicht ist es der Kerzengeruch in der Kirche gewesen, der Weihrauch. Und die Gebete, die die Meßbesucher im Chor heruntergesagt haben, und die Heiligenbilder und die Kirchenbücher, und wie die Stimme des Pfarrers aus den schlechten Kirchenlautsprechern hallt. Da kann man ja sagen, was man will, aber das hat schon einen gewissen Dings. Vielleicht ist es daran gelegen, daß der Brenner jetzt mehr oder weniger einen Moralischen kriegt.
Jetzt nicht, daß du mich falsch verstehst, weil heute immer so viel über die Methode geredet wird. Dem Brenner seine Methode ist es natürlich gewesen, daß er sich den ganzen Kleinigkeiten gewidmet hat, also daß er da keine Unterschiede gemacht hat, quasi wichtig oder un-. Aber das ist ja nicht richtig eine Methode gewesen. Das war ja nur, weil der Brenner einfach so gewesen ist und gar nicht anders gekonnt hätte.
Und wie er jetzt merkt, daß es ihm gar nicht richtig paßt, daß er auf einmal so ein riesiges Indiz serviert bekommt, da ist der Brenner mit sich ins Gericht gegangen, daß du geglaubt hast, Altes Testament.
Ist das nicht immer schon sein größter Fehler gewesen? Hat er sich nicht deshalb so verrannt mit seinem Leben? Immer alles viel zu kompliziert. Immer alles weiß Gott wie weit hergeholt. Nie wie ein normaler Mensch einfach das Naheliegende.
«Sex und noch einmal Sex!» hat jetzt der Pfarrer ins Mikrofon gesagt, weil der Zeller Pfarrer hat gern über solche Themen gepredigt, und der Brenner ist kurz aufgeschreckt und hat sich gewundert, daß der Pfarrer jetzt schon bei der Predigt war, praktisch eine halbe Stunde vorbei, und er hätte geglaubt, fünf Minuten.
Wie er so dagelungert ist, mit dem Kopf in den Händen, hättest du glauben können, ein richtiger Gläubiger, also beten oder büßen. Und irgendwie ist es ja auch so gewesen. Es ist ja nicht wirklich der Fall der beiden Amerikaner gewesen, der ihn beschäftigt hat, sondern sein eigener Fall. Seine eigene Unfähigkeit. Daß er immer so unfähig ist, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.
«Heute beten die Leute den Sex an.»
Früher hat er geglaubt, das ist vielleicht ein Vorzug. Quasi nicht so viele Vorurteile. Bis er dann gemerkt hat, daß ihn das ganz ding macht. Lebensuntüchtig. Da ist es schon mehr oder weniger zu spät gewesen. Wie er gemerkt hat, daß Menschen wie der Nemec überhaupt nicht an der Wahrheit interessiert sind.
«Schon im Kindergarten reden die Tanten über Sex.»
Menschen wie der Nemec suchen nur Lösungen, hat sich der Brenner gedacht. Und oft genug finden sie ja irgendeine Lösung. Das hat sich der Brenner nicht zum erstenmal gedacht. Aber dieses Mal ist er nicht mit dem Nemec, sondern mit sich selbst ins Gericht gegangen. Weil sich alles in ihm so gewehrt hat, an den Vergolder auch nur zu denken.
Dann hat er die Kirchenbänke knarren gehört, und da hat er gewußt, daß die Predigt vorbei ist. Die Gläubigen haben sich zum
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